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Martin Heideggers Existentialphilosphie

Ganze des Seienden, der zur menschlichen Existenz gehört, bricht das Seiende in dem, was und wie es ist, auf und verhilft damit „in seiner Weise dem Seienden allererst zu ihm selbst“[1]. „Worauf der Weltbezug geht, ist das Seiende selbst – und sonst nichts“. Und nun wird dieses anscheinend nur so leicht entschlüpfte „nichts“ überraschend aufgegriffen: „Wie steht es um dieses Nichts?[2] Der Verstand kann darüber nicht entscheiden. Das Nichts läßt sich nicht als Verneinung des Alls des Seienden fassen, weil „das Nichts ursprünglicher ist als das Nicht und die Verneinung“[3].

Das Grundgeschehen unseres Daseins, das uns das Seiende als Ganzes enthüllt, ist die Befindlichkeit oder das Gestimmtsein; z.B. die eigentliche Langeweile (wenn nicht dies oder jenes einen langweilt, sondern wenn „es einem langweilig ist“). Das Gestimmtsein, in dem der Mensch vor das Nichts gebracht wird, ist – wie wir schon wissen – die Angst: indem das Seiende entgleitet und wir selbst uns entgleiten, offenbart die Angst das Nichts. Es enthüllt sich in der Angst nicht als Seiendes und nicht neben dem Seienden: es „begegnet… in eins mit dem Seienden im Ganzen“[4]. Dieses wird weder vernichtet noch verneint, sondern es wird hinfällig. Das Nichts „zielt nicht auf sich, sondern ist wesenhaft abweisend. Die Abweisung von sich ist aber als solche das entgleitenlassende Verweisen auf das versinkende Seiende im Ganzen. Diese im Ganzen abweisende Verweisung auf das entgleitende Seiende im Ganzen, als welche das Nichts in der Angst das Dasein umdrängt, ist das Wesen des Nichts: die Nichtung. Sie ist weder eine Vernichtung des Seienden noch entspringt sie einer Verneinung. Das Nichts selbst nichtet…“ Es offenbart das Seiende „in seiner vollen, bislang verborgenen Befremdlichkeit als das schlechthin Andere – gegenüber dem Nichts[5]. In der hellen Nacht des Nichts der Angst ersteht erst die ursprüngliche Offenbarkeit des Seienden als eines solchen: daß es Seiendes ist – und nicht Nichts … Das Wesen des ursprünglich


  1. Was ist Metaphysik, S. 9.
  2. a.a.O. S. 10.
  3. a.a.O. S. 12.
  4. a.a.O. S. 18.
  5. Man hat den Eindruck, daß das Nichts hier in einem radikalern Sinn gemeint ist als im Kant-Buch (vgl. im Vorausgehenden S. 125). Entsprechend verschiebt sich das Verhältnis von Nichts und Sein.
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Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/130&oldid=- (Version vom 31.7.2018)