Seite:Edith Stein - Welt und Person.pdf/13

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Die weltanschauliche Bedeutung der Phänomenologie
II. DIE WELTANSCHAULICHE BEDEUTUNG DER PHÄNOMENOLOGIE
I. MATERIALE BEDEUTUNG

Wir stellen nun zuerst die Frage: Gibt die Phänomenologie in dieser dreifachen Gestalt (Husserls transzendentale Phänomenologie, Schelers Realontologie, Heideggers Fundamentalontologie) ein Weltbild oder trägt sie wenigstens material zum Aufbau eines Weltbildes bei?


a) Das Weltbild der drei Philosophen

Wenn wir uns zunächst auf den Standpunkt der drei Philosophen selbst stellen, so muß man für Husserl zweifellos sagen, daß er durch seine Methode, ohne dies als Ziel zu verfolgen, tatsächlich zu einem geschlossenen Weltbild gekommen ist. Er kennt ein absolutes Sein, auf das alles andere zurückweist und von dem aus alles andere zu verstehen ist: eine Vielheit von Menschen, d.h. von Subjekten, von denen jedes in seinen Akten sich seine Welt aufbaut, die aber in Wechselverständigung stehen und im Austausch ihrer Erfahrungen eine intersubjektive Welt aufbauen. Alles, was außer diesen Monaden ist, ist durch ihre Akte konstituiert und auf sie relativ. Husserl versichert, daß er von seinem Standpunkt aus auch zu den höchsten Fragen der Ethik und Religionsphilosophie Zugang habe. Wir werden aber sagen müssen, daß vermöge der Absolutsetzung der Monaden für Gott – im Sinn unserer Gottesidee, die ihm allein absolutes Sein zuschreibt, ja ihn als das absolute Sein selbst setzt – kein Raum ist.

Schwerer ist es, bei Scheler ein einheitliches Weltbild festzustellen, weil er in seiner Entwicklung so große Schwankungen und Schwenkungen durchgemacht hat. Halten wir uns an die Werke, durch die er vor allem auf weitere Kreise gewirkt hat – seine materiale Wertethik, Das Ewige im Menschen und die gesammelten Abhandlungen und Aufsätze –, so wird man sagen dürfen, daß uns hier eine Gotteswelt gezeichnet ist, ein Weltbild, das in bewußter Anlehnung an das augustinische entworfen ist, aber auch mit dem thomistisch-scholastischen mehr Verwandtschaft hat als ihm selbst und seinen Gegnern aus den Reihen der Neuscholastik klar war. Es ist

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die weltanschauliche Bedeutung der Phänomenologie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/13&oldid=- (Version vom 31.7.2018)