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Martin Heideggers Existentialphilosphie

erfahren hat, zurückweisen und einige Punkte, die dunkel geblieben sind, klarer herausarbeiten, indem früher nur angedeutete Linien nachdrücklicher gezogen und weitergeführt werden. So wird in der Abhandlung vom Wesen des Grundes unter dem Namen Transzendenz das In-der-Welt-sein schärfer gefaßt[1]. Transzendieren besagt danach, daß das Dasein stets alles Seiende, auch sich selbst, übersteigt in der Richtung auf Welt; d.h. nicht auf das All des Seienden, noch auf die Gesamtheit der Menschen, sondern auf ein Sein im Ganzen. Welt ist wesenhaft daseinsbezogen[2] und Dasein „ist im Wesen seines Sein weltbildend“[3].

Zur Klärung des Weltbegriffs wird hier der Sprachgebrauch der Heiligen Schrift (Paulusbriefe und Johannesevangelium), des hl. Augustinus und Thomas herangezogen in einer Weise, die den Eindruck erwecken kann, daß der augenscheinliche antichristliche Affekt von Sein und Zeit überwunden sei[4]. Es wird auch in Anmerkungen versichert, daß „durch die ontologische Interpretation des Daseins als In-der-Welt-sein… weder positiv noch negativ über ein mögliches Sein zu Gott entschieden“ sei[5] und daß das Dasein nicht als das eigentliche Seiende überhaupt hingestellt werden sollte: „Ontologische Interpretation des Seins in und aus der Transzendenz des Daseins heißt aber doch nicht ontische Ableitung des nichtdaseinsmäßigen Seienden aus dem Seienden qua Dasein“[6].

Was das Zweite anlangt, so haben in der Tat die Kritiker das Vorhandensein und Zuhandensein nicht in der Dunkelheit gelassen, in der es bei Heidegger blieb, sondern es in einer von ihm nicht beabsichtigten Weise festgelegt. Und bei ganz getreuer und genügend weitgehender Auslegung des wesenhaften Sich-selbst-übersteigens hätte auch eine Sicht des Daseins gewonnen werden können, die ein Sein zu Gott mindestens offen ließ. Aber tatsächlich ist die Auslegung


  1. Allerdings nicht so auf die letzten Gründe verfolgt wie im Kant-Buch.
  2. Vom Wesen des Grundes, S. 96.
  3. a.a.O. S. 97.
  4. Vielleicht erklärt sich diese Wendung daraus, daß die Abhandlung vom Wesen des Grundes in Heideggers Marburger Zeit entstanden ist, in der er starken Einfluß auf die protestantischen Theologen hatte und wohl auch von dieser Seite Anregungen empfing.
  5. a.a.O. S. 98, Anm. 1.
  6. a.a.O. S. 100, Anm. 1.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/128&oldid=- (Version vom 31.7.2018)