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Martin Heideggers Existentialphilosphie

in unserem eigenen Bemühen… am Ende nicht auch ein verborgenes Ausweichen vor etwas, was wir – und zwar nicht zufällig – nicht mehr sehen?“ Er hält es selbst für möglich, daß seine eigene Grundlegung der Metaphysik „vor dem Entscheidenden haltmacht“[1].

Damit ist der Punkt getroffen, auf den wir zusteuerten. Heideggers Existentialphilosophie weicht aus und macht halt vor dem, was dem Sein seinen Sinn gibt und worauf alles Seinsverständnis abzielt: vor dem Unendlichen, ohne das nichts Endliches und das Endliche als solches nicht zu fassen ist. Daß es sich um ein Ausweichen und Haltmachen, nicht um ein bloßes Nicht-sehen handelt, geht daraus hervor, daß anfangs im Anschluß an Kant endliche Erkenntnis und entsprechend Erscheinung oder Gegenstand und Seiendes an sich einander gegenübergestellt wurden: „Der Titel Erscheinung meint das Seiende selbst als Gegenstand endlicher Erkenntnis. Genauer gesprochen: nur für endliche Erkenntnis gibt es überhaupt so etwas wie Gegenstand. Nur sie ist an das schon Seiende ausgeliefert“. Das unendliche Erkennen dagegen „offenbart sich das Seiende im Entstehenlassen und hat es jederzeit nur als Entstehendes im Entstehenlassen, d.h. als Ent-stand offenbar… Es ist das Seiende als Seiendes an sich, d.h. nicht als Gegenstand“. „Das Seiende in der Erscheinung ist dasselbe Seiende wie das Seiende an sich…“ Aber als Gegenstand offenbart es sich „gemäß der Weise und Weite des Hinnehmenkönnens, über die eine endliche Erkenntnis verfügt“[2]; und der endlichen Erkenntnis ist es eigen, daß sie „als endliche notwendig zugleich verbirgt…“ [3] In der Folge aber ist dieser Gegensatz fallengelassen. Es ist nur noch von der endlichen Erkenntnis die Rede und von dem Seienden, das sie entgegenstehen läßt. Damit ist aber das Seiende an sich durch den Gegenstand verdrängt, und der formale Bau, den die endliche Erkenntnis als solche für den Gegenstand entwirft, wird als das Sein selbst in Anspruch genommen[4].


  1. a.a.O. S. 235.
  2. a.a.O. S. 28. Dabei ist übersehen, daß die unendliche Erkenntnis auch die endliche Erkenntnis umfaßt und den Gegenstand, wie er der endlichen Erkenntnis erscheint.
  3. a.a.O. S. 30.
  4. Vgl. hierzu die Anmerkung 145 (s. 134).
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Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/126&oldid=- (Version vom 31.7.2018)