Seite:Edith Stein - Welt und Person.pdf/123

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kant und das Problem der Metaphysik

Heidegger hat den alten Sinn der metaphysica generalis als Lehre vom Seienden als solchem nicht aufgehoben, sondern nur betont, daß es dafür nötig sei, den Sinn des Seins zu klären. Darin stimmen wir mit ihm überein. Er ist dann noch einen Schritt weitergegangen und hat behauptet, daß man, um den Sinn des Seins zu verstehen, das Seinsverständnis des Menschen untersuchen müsse, und weil er den Grund der Möglichkeit des Seinsverständnisses in der Endlichkeit des Menschen fand, sah er die Aufgabe einer Grundlegung der Metaphysik in der Erörterung der Endlichkeit des Menschen. Dagegen sind von zwei Seiten her Bedenken zu erheben. Es geht in der Metaphysik um den Sinn des Seins als solchem, nicht nur des menschlichen Seins. Allerdings müssen wir das menschliche – d.h. unser eigenes – Seinsverständnis nach dem Sinn des Seins befragen. Das heißt aber: wir müssen es fragen, was es meint, wenn es vom Sein spricht. Und diese Frage ist nicht durch die andere zu ersetzen, wie so etwas wie Seinsverständnis geschehe. Wer die Frage nach dem im Seinsverständnis selbst liegenden Sinn des Seins überspringt und unbekümmert darum das Seinsverständnis des Menschen entwirft, bei dem ist Gefahr, daß er sich vom Sinn des Seins abschneidet; und soviel ich sehen kann, ist Heidegger dieser Gefahr erlegen. Davon wird noch zu sprechen sein.

Zunächst das zweite Bedenken: Wir sahen, daß zur Endlichkeit als solcher das Seinsverständnis nicht gehört, da es endliches Seiendes gibt, dem kein Seinsverständnis eigen ist. Das Seinsverständnis gehört zu dem, was personal-geistiges Sein von anderem Sein unterscheidet. Innerhalb seiner wäre das menschliche Seinsverständnis von dem anderer endlicher Geister und alles endliche Seinsverständnis vom unendlichen (göttlichen) zu unterscheiden. Was aber Seinsverständnis überhaupt ist, das läßt sich nicht herausstellen ohne Klärung dessen, was der Sinn des Seins ist. So ist und bleibt für uns die Grundfrage einer Grundlegung der Metaphysik die Frage nach dem Sinn des Seins. Welche Bedeutung das menschliche Seinsverständnis für den Sinn des Seins hat, das ist einmal wichtig für die Bewertung der Rolle, die die Endlichkeit des Menschen in der Grundlegung der Metaphysik zu spielen hat. Es fällt überdies zusammen mit der noch zu erörternden, dritten Frage: ob die Grundfrage der Grundlegung der Metaphysik in dem Problem der inneren Möglichkeit des Seinsverständnisses beschlossen liege.

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/123&oldid=- (Version vom 31.7.2018)