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Kant und das Problem der Metaphysik

Seienden im Ganzen und dem „vorzüglichsten Bezirk des Seienden ..., aus dem her sich das Seiende im Ganzen ... bestimmt“[1]. Die Frage nach dem Seienden als solchem ist die sachlich frühere. Um aber „die wesenhafte Bestimmtheit des Seienden durch das Sein begreifen zu können, muß das Sein als solches zuvor begriffen werden“ [2]. „Soll die Frage: was heißt Sein? ihre Antwort finden“, so muß geklärt werden, „von woher die Antwort ursprünglich überhaupt erwartet werden kann“[3]. So ist noch ursprünglicher als die Frage nach dem Seienden als solchem und dem Sein als solchem die Frage: „Von wo aus ist dergleichen wie Sein ... überhaupt zu begreifen?“ (S. 215) So werden wir „zurückgetrieben zur Frage nach dem Wesen des Verstehens von Sein überhaupt“. (S. 216)

Um die Möglichkeit einer Erkenntnis von Seiendem zu erweisen, muß die Grundlegung der Metaphysik „Aufhellung des Wesens eines Verhaltens zum Seienden“ sein, „darin sich dieses an ihm selbst zeigt ...“[4] Die ontische Erkenntnis (d.i. Erkenntnis von Seiendem) wird ermöglicht durch die ontologische Erkenntnis, d.i. ein Verständnis der Seinsverfassung des Seienden, das vor der Erfahrung liegt. Weil es zum Wesen der menschlichen Vernunft gehört, sich selbst zu überschreiten zum Seienden hin, und weil diese Grundverfassung des Menschengeistes Transzendenz genannt wird, ist die Fundamentalontologie, die die Grundlegung der Metaphysik leisten muß, Transzendentalphilosophie.

Damit wird die Transzendenz in den Mittelpunkt der Untersuchung gestellt: Weil die Metaphysik als Frage nach dem Sein in der Natur des Menschen liegt[5], muß die Grundlegung der Metaphysik eben das in der Seinsverfassung des Menschen enthüllen, was Grund seines Seinsverständnisses ist. Darum ist die Fundamentalontologie Analytik des Daseins und vorzüglich seiner Transzendenz. In der Transzendenz aber bekundet sich die Endlichkeit des Menschen. Sie ist das, was alle endliche Erkenntnis möglich macht: ein Sichzuwenden zu..., das einen Horizont bildet, durch welchen (d.h. innerhalb dessen) das Gegenstehen eines Gegenstandes möglich wird. „Transzendenz macht einem endlichen Wesen das Seiende an ihm selbst zugänglich“[6]. „In der Transzendenz bekundet das Dasein


  1. Kant und das Problem der Metaphysik, S. 6. (Vgl. S. 211.)
  2. a.a.O. S. 213.
  3. a.a.O. S. 215.
  4. a.a.O. S. 9.
  5. a.a.O. S. 162.
  6. a.a.O. S. 113.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/117&oldid=- (Version vom 31.7.2018)