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Martin Heideggers Existentialphilosphie

Aristoteles und zur Scholastik aus der Art, wie er zitiert und deutet, einmal in einer eigenen Untersuchung gründlich nachzuprüfen. Das kann hier nicht unsere Aufgabe sein.

Wenn wir das ganze Werk überblicken, dann behalten wir den Eindruck, daß der Versuch gemacht werden sollte, das menschliche Sein als das letzt-begründende zu erweisen und alle andern Seinsweisen darauf zurückzuführen, daß aber der ursprüngliche Ansatz am Ende fraglich geworden ist. Es wird gut sein, Heideggers spätere Äußerungen zur Seinsfrage zu vergleichen, um zu prüfen, ob dieser Eindruck sich bestätigt.


KANT UND DAS PROBLEM DER METAPHYSIK[1]

Dieses Buch will nach Heideggers eigener Angabe nicht bloß herausstellen, was Kant tatsächlich gesagt hat, sondern was er „hat sagen wollen“[2]. Damit soll aber zugleich gezeigt werden, daß Sein und Zeit eine Wiederholung der Kritik der reinen Vernunft sei, d.h. ein neuer Versuch einer Grundlegung der Metaphysik, durch den die „ursprünglichen, bislang verborgenen Möglichkeiten“[3] des Kantischen erst erschlossen werden.

Es soll hier nicht untersucht werden, ob diese Auslegung, die „notwendig Gewalt brauchen“[4] muß, Kant unverfälscht wiedergibt. Uns ist es allein darum zu tun, eine weitere Klärung der Frage zu finden, um die es in Sein und Zeit geht: der Frage nach dem Sinn des Seins. Die Frage, in die der I. Teil von Sein und Zeit ausklingt: „Führt ein Weg von der ursprünglichen Zeit zum Sinn des Seins? Offenbart sich die Zeit selbst als Horizont des Seins?“[5] darf wohl als das eigentliche Thema das Kant-Buches bezeichnet werden. Die ganze Untersuchung ist darauf angelegt, eine bejahende Antwort auf diese Frage herausspringen zu lassen.

Die überlieferte Metaphysik, an die Kant anknüpft, hat die Frage nach dem Seienden als solchem verquickt mit der Frage nach dem


  1. Bonn 1929.
  2. Kant und das Problem der Metaphysik, S. 193.
  3. a.a.O. S. 195.
  4. a.a.O. S 193.
  5. Sein und Zeit, S. 438 (im Vorausgehenden S. 87).
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Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/116&oldid=- (Version vom 31.7.2018)