Seite:Edith Stein - Welt und Person.pdf/111

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Sein und Zeit

Darum gibt es keine gründlichere Verkehrung der Idee des Ewigen als in Heideggers Bemerkung: „Wenn die Ewigkeit Gottes sich philosophisch konstruieren ließe, dann dürfte sie nur als ursprünglichere und unendliche Zeitlichkeit verstanden werden“[1]. Dem Seienden, das in den Vollbesitz seines Seins gelangt ist, geht es nicht mehr um sein Sein. Und umgekehrt: in dem Maß, in dem es von der verkrampften Gespanntheit der Sorge um die eigene Existenz übergeht in die Gelassenheit und Gelöstheit der selbstvergessenen Hingabe an das ewige Sein, in eben dem Maß wird schon sein zeitliches Sein vom ewigen erfüllt. Sorge und Zeitlichkeit sind also keineswegs der letzte Sinn des menschlichen Seins, sondern – seinem eigenen Zeugnis nach – gerade das, was so weit als möglich überwunden werden muß, wenn es zur Erfüllung seines Seinssinns gelangen soll.

Es ist klar, daß dann die ganze Zeitlehre, wie sie in Sein und Zeit geboten wird, einer Abwandlung bedarf[2]. Die Zeitlichkeit muß mit ihren drei Ekstasen und ihrer Erstreckung ihre Sinnesklärung erfahren als die Art, wie Endliches am Ewigen Anteil gewinnt. Die von Heidegger so stark unterstrichene Bedeutung der Zukunft ist in doppeltem Sinn verständlich zu machen: einmal so, wie Heidegger es tut – als die aus dem Verständnis der Flüchtigkeit und Nichtigkeit des eigenen Seins geborene Sorge um seine Erhaltung; darüber hinaus aber als Abzielen auf eine noch ausstehende Erfüllung, einen Übergang aus der Zerstreuung des zeitlichen Seins in die Sammlung des eigentlichen, einfachen, ewigkeiterfüllten Seins. Daneben muß der Gegenwart ihr Recht werden als der Seinsweise der Erfüllung, die uns – wie ein flüchtiges Aufblitzen des ewigen Lichtes – das Verständnis für die Seinsvollendung erschließt, und der Vergangenheit als der Seinsweise, die uns mitten in der Flüchtigkeit unseres Seins den Eindruck der Beständigkeit vermittelt.

Es wäre natürlich noch sehr viel zu Heideggers Seinsanalyse zu sagen. Aber wir sind weit genug, um die Frage zu beantworten, ob sie treffend sei: sie ist es in gewisser Hinsicht, indem sie etwas von der Grundverfassung menschlichen Seins aufdeckt und eine


  1. Sein und Zeit, S. 427, Anm. 1. Vgl. demgegenüber den Unterschied von wahrer und scheinbarer Ewigkeit bei Hedwig Conrad-Martius, Die Zeit (Philosophischer Anzeiger II, Bonn 1927), S. 147.
  2. Diese Forderung ist durch die vertiefte Zeitanalyse des Kant-Buches keineswegs überholt. (Vgl. im Folgenden S. 124 ff.)
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/111&oldid=- (Version vom 31.7.2018)