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etwas Verbotenes zu verschaffen, hatten wir gemerkt. Ich erwartete kaum, daß er verstehen würde, was ich wollte, und war daher sehr erstaunt, als er sagte: „Systra briz – Ao nie dobre!“ (Die Schwester geht weg? Das ist nicht gut!).

Der kleine Operationssaal befand sich in der Kavallerie-Kadettenanstalt. Man nannte uns daher die „Kavalleristen“. Schwester Anni war ein kleines weißblondes Persönchen, flink und beweglich, gutherzig und redselig. Ihr kleines Reich war der Operationssaal mit drei Operationstischen, Instrumentenschrank und Instrumententisch, der danebenliegende Sterilisierraum und ein kleines dunkles Vorzimmer nach dem Gang hin. Dort hockte, wenn nichts zu tun war, in einer finstern Ecke unser Landsturmmann Max und bewachte den Eingang wie ein bissiger Hund. Er unterschied sich von seinen Kameraden dadurch, daß er flink und geschickt und zu manchem zu gebrauchen war. Er drehte uns die schönsten Tupfer und fabrizierte aus kleinen Stäbchen und ein wenig Watte Jodpinsel. Wenn wir viel zu tun hatten und ihm während der Arbeit freundlich zuriefen: „Max, bitte, schnell dies oder das! Sie können das ja so gut“, dann flog er nur so hin und her und überbot sich selbst. Aber vor und nach solchen Glanzleistungen stärkte er sich gern durch reichlichen Alkohol, und wenn er in der Kantine nichts mehr kaufen konnte, dann ging er an unsere Vorräte. Wir mußten unsern 70% Spiritus sorgfältig verschlossen halten, wenn er nicht auf wunderbare Weise abnehmen sollte.

Jeden Morgen wurden die Schwerverwundeten von der angrenzenden chirurgischen Station bei uns verbunden. Bei der Visite wurde außerdem festgestellt, wer zu operieren sei. Zur bestimmten Zeit mußten wir dann alles bereithaben: steriles Verbandzeug, Instrumente u.s.w. Gewöhnlich reichte Schwester Anni die Instrumente zu; ich löste die Verbände, hielt die Patienten fest, wenn das nötig war, und legte am Schluß wieder den Deckverband an, damit die Ärzte nichts Unsteriles anzurühren brauchten.

Chef der Station war ein tschechischer Chirurg, ein älterer Herr, sehr tüchtig und gewissenhaft. Darum schätzte ich den „Pan Primarius“ hoch, obwohl er sehr wortkarg war und uns nicht mit Freundlichkeit verwöhnte. Sehr unangenehm waren mir zwei tschechische Assistenten: ein älterer, der offenbar wenig von Chirurgie und noch weniger von Asepsis verstand; und ein jüngerer, dem ich sichtlich ein Dorn im Auge war. Er vermied es nach Möglichkeit, sich von mir helfen zu lassen, und rief stattdessen unsere böhmische Wärterin herbei, ein dunkeläugiges Mädchen, das an seinen Blicken hing und auf seinen Wink flog. Einmal traf ich ihn in der Mittagsstunde im Garten. Wider Erwarten grüßte er freundlich und fragte,

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Edith Stein: Aus dem Leben einer jüdischen Familie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1965, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Aus_dem_Leben_einer_j%C3%BCdischen_Familie.pdf/268&oldid=- (Version vom 31.7.2018)