Seite:DurrerKriegsbetrachtungen.pdf/8

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Kriegführen nötig, kompliziertere Betrachtungsweisen auszuschließen. Der Feind ist wieder der Inbegriff des Bösen, der Volksgenosse und Freund die Verkörperung des Guten und Gerechten.

Die Rückkehr zu solch urweltlichen Anschauungen ist wohl für die Kriegführenden logisch, die unumgängliche Voraussetzung, um sich in dem urweltlichen Zustand des Krieges zurechtzufinden, die Spannkraft des patriotischen Opfersinns zu wahren. – Daß aber auch wir Neutrale und Unbeteiligte solcher Suggestion unterliegen, ist rätselhaft und bedenklich zugleich. Daß es geschieht, zeigt täglich der Blick in unsere Presse, nicht etwa bloß in die vom Bundesrat exempelweise verwarnten Blätter.[1] Wir wenigstens sollten uns der Binsenwahrheit stets bewußt bleiben, daß der Krieg an sich grausam ist, daß die Lebensgefahr beim Sanftesten die feinern Gefühle abstumpft, beim Temperamentvollen die Ueberlegung zurückdrängt, beim Rohen, der sich in jeder Nation findet, das Raubtier weckt. Daß der Krieg einen Landwehrkommandanten oder einen Subalternen in Lagen bringen kann, wo er politisch selbständig handeln muß und der Situation nicht gewachsen ist. Daß der an Schablone gewöhnte Bureaukrat, auch als Reserveoffizier, nicht daran denken wird, präventive Maßregeln der Lage anzupassen, und blind nach dem auf andere Umstände berechneten Buchstaben handelt. Entgleisungen solcher Art der Gesamtheit zuzuschreiben, ist für den Gegner nach dem Gesagten selbstverständlich, für uns neutrale Beobachter ist es unverzeihlich. Nicht die auferlegte Pflicht der staatsrechtlichen Neutralität, nein, die bloße Biedermannsvernunft sollte uns, die wir alle Ursache haben, uns der allseitigen


  1. Es ist für unsere spießbürgerliche Mentalität charakteristisch, daß man als hauptsächlichen Sündenbock ein Witzblatt ausersah. Demokratie haßt und fürchtet keine Waffe mehr als die Satyre. In diesem Falle wäre mehr als die Form, die systematische Tendenz von hohen Magistraten geleiteter Blätter zu rügen gewesen.
Empfohlene Zitierweise:
Robert Durrer: Kriegsbetrachtungen. Rascher & Cie., Zürich 1915, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DurrerKriegsbetrachtungen.pdf/8&oldid=- (Version vom 6.5.2018)