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zuweilen vorkamen. Wie heute noch in theoretischer Form, wurde damals die Sentimentalität als idealistischer Standpunkt dem realen Nützlichkeitsstandpunkt gegenübergestellt. Denn nur diesen erkannten die Zeitgenossen zunächst in unserer Neutralität. Erst die Geschichte hat deren ideale Werte erkennen lassen. Erst durch die Neutralität, den dauernden Frieden und die Friedensversicherung, die sie uns gab, sind wir zu einem Kulturvolk geworden. Es ist ein durch die Jahrtausende der Weltgeschichte erwiesener Satz, daß wahre Geisteskultur nur auf gesichertem Boden, fern vom Waffengetöse, in langer Friedensarbeit sich entwickeln und erstarken kann.

Nach einer letzten nochmaligen Verwicklung in die europäischen Händel an der Wende des achtzehnten Jahrhunderts, die unsere Heimat zum Schlachtfeld fremder Heere machte und die Erinnerung an das unsägliche Elend des Krieges auf die späten Enkel vererbte, wurde auf dem Wiener Kongreß 1815 die künftige Neutralität der Schweiz für ewige Zeiten von den Großmächten garantiert. Seither beruht sie nicht mehr auf unserm freien Willen im Einzelfalle, sie ist zu einem latenten Pflichtverhältnis geworden, das durch das internationale Staatsrecht genau umschrieben ist.

Für platonische Sympathieäußerungen setzt diese Garantie freilich keine Schranken. Es bleibt unserem Takte überlassen, sie zu finden. Unsere staatsrechtliche Neutralität verlangt nur die Integrität unserer Grenzen in Hinsicht auf kriegerische Operationen[WS 1] der Gegner, und verbietet einseitige Begünstigungen durch Zufuhr von Kriegsmaterial, während der freie Transit durch neuere Interpretationen der Haager Verträge ausdrücklich garantiert ist. Dies muß gegenüber den Aspirationen der französischen Presse, die uns schon zumuten wollte, eine einseitige Sperre gegenüber Deutschland handhaben zu müssen, energisch betont werden.

Aber Verträge, Garantien! Wie wenig diese alten Papierwische dauernden Wert haben, wenn das Interesse

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Operationenen
Empfohlene Zitierweise:
Robert Durrer: Kriegsbetrachtungen. Rascher & Cie., Zürich 1915, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DurrerKriegsbetrachtungen.pdf/22&oldid=- (Version vom 31.7.2018)