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Bewohner der Normandie und der Isle de France anthropologisch so reine Germanen sind, als die Berliner und Preußen es nicht sind. Wir Schweizer, anthropologisch eine Mischrasse, deren einzelne gesonderte Gruppen über die Sprachgrenzen hinüberlangen, sind durch unsere gemeinsame Geschichte, die viel älter ist als unsere staatliche Zusammenschweißung, zu einer Einheit geworden, die wahrlich auch den Namen einer Nationalität beanspruchen darf.

Auch dieser schweizerische Nationalitätsstandpunkt bedingt Sympathien, sogar Sympathiepflichten.

Vom gegenwärtigen Krieg hängt die Berechtigung des historischen Nationalitätsbegriffes im Gegensatz zum bloß sprachlichen ab. Vom Fortbestand oder Untergang des uns parallelen, ebenfalls aus verschiedenen Rassen und Sprachen zusammengesetzten historischen Staatsgebildes Oesterreich. Wir Schweizer müssen mit sympathischen Gefühlen den Existenzkampf Oesterreichs verfolgen und ihm Glück wünschen, mögen wir auch noch so oft die antediluvianischen Maximen der österreichischen Diplomatie bedauert haben. Jedenfalls haben wir dreisprachige Schweizer als Gesamtheit mindestens ebensoviel Ursache, uns für das Geschick Oesterreichs zu erwärmen als für Deutschland, das, durch die Mißerfolge im Elsaß und in Polen unbelehrt, nun seine schulmeisterliche gewaltsame Germanisationspraxis bereits wieder bei den noch nicht formell annektierten Belgiern anwendet. Daß so was bei unsern welschen Miteidgenossen keine Sympathie für eine deutsche Vorherrschaft bringen kann, muß auch ein Deutschschweizer verstehen.

Daß wir Schweizer aus allen Stämmen tiefe Sympathien für das arme Heldenvolk der Belgier hegen müssen, müßte selbstverständlich sein, wenn befangene Zeitungsschreiber die öffentliche Meinung der deutschen Schweiz nicht völlig irregeführt hätten. Belgien hat eigentlich für uns geblutet, und wenn, statt Paris, Lyon

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Robert Durrer: Kriegsbetrachtungen. Rascher & Cie., Zürich 1915, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DurrerKriegsbetrachtungen.pdf/16&oldid=- (Version vom 31.7.2018)