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dünnen Schnüren geflochtenes und dann als wüster Turban auf das Haupt gehäuftes, mit Asche bestäubtes Haar, eine Lota, d. h. eine aus einem Kürbis geschnittene Bettlerschale und ein Paar aus 51 Samenkernen heiliger Bäume zusammengereihter Ketten um Hals und Handgelenk bilden die äußeren, leicht kenntlichen Zutaten ihrer Schwärmerei.

Gerade hier in Nepal, wo die strenggläubigen Hindus ganz unter sich zu sein glauben und nicht befürchten, wie in Indien durch spöttische oder mitleidige Blicke von Europäern belästigt zu werden, werden die Tempelfeste noch mit all den sonderbaren Gebräuchen wie vor Jahrtausenden gefeiert, und zwar, wie ich dies bereits bei Erwähnung des Machendranathkarrens auseinandersetzte, häufig sogar gleichzeitig von Anhängern des Brahminismus und Buddhismus. Ich greife einige Beispiele dieser Feste heraus. Nachdem die Paschpattinathpilger während des Maghmonates täglich rituelle Bäder im Bagmati genommen haben, lassen sie sich am Maghi Purnima-Feste[WS 1] auf Bahren nackend, aber mit brennenden Lampen und Kerzen auf Brust, Armen und Beinen herumtragen, wobei sie ihre Augen durch dunkelfarbige Gläser vor dem Lichterglanz schützen; andere Büßer laufen mit durchlöcherten Krügen voll heiligen Wassers nebenher, während das Volk sich herzudrängt, um dieses heilbringende Wasser aufzufangen und damit die Stirnen zu benetzen. Am Kartik Purnima[WS 2] werden dagegen diejenigen weiblichen Büßer durch ein Festmahl und eine Illumination des Tempels geehrt, die es ausgehalten haben, einen vollen Monat in den Tempelvorhallen zuzubringen, ohne andere Nahrung zu sich zu nehmen als das Wasser, das auf das Mahadeo-Idol im Tempel gesprengt wurde. Das Sitchi Jatra[WS 3] hat glücklicherweise seinen barbarischen Charakter verloren, denn vormals wurden die bei dem dann stattfindenden gegenseitigen Steinbombardement Getroffenen im Tempel geopfert, während jetzt die vorkommenden Verletzungen als genügende Strafen „des Fingers Gottes“ gelten. Ebenso wird am Gathia Magal[WS 4] statt eines lebenden Sklaven jetzt nur eine als Dämon verkleidete Holz- und Strohpuppe in Stücke zerprügelt und dann verbrannt.

Sympathischer berühren uns Feste wie das Bhai-Pudscha[WS 5], bei dem die mit Brüdern bedachten Schwestern diesen ihre Verehrung zeigen, indem sie ihnen die religiösen Zeichen besonders feierlich auf die Stirn malen, ihnen die Füße waschen, Blumenketten um Hals und Schultern legen und sie mit selbstgebackenen Süßigkeiten füttern. Daneben gibt es weniger bedeutende Feste zur Erinnerung an mythologische Vorgänge, wie das Chicha-Pudscha[WS 6] zur Feier der Hunde, die dann überall mit Blumen geschmückt herumlaufen, wobei eingeschaltet sein mag, daß die Nepaler weit häufiger in Begleitung ihres Hausschweinchens als eines Hundes angetroffen werden. Selbst Ochsen, Krähen und Frösche haben ihre Festtage. Mit ganz besonderem Glanze wird aber zehn

Tage hindurch das Dasahra- oder Durga-Pudscha[WS 7] gefeiert, bei dem der Todesgöttin Kali, in ihrer heroischen Form der Kriegsgöttin Durga, Tausende von Ziegen und Büffeln geopfert werden. Auf dem Opferplatz säen dann die Brahmanen Gerste, besprengen den Platz reichlich mit heiligem Wasser und verteilen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Magh, Maghi Purnima: vergleiche Magha (month) (en), Magha Purnima (en)
  2. WS: Kartik Purnima: vergleiche Kartik Purnima (en)
  3. WS: Sitchi Jatra: vergleiche Siti Jatra (en)
  4. WS: Gathia Magal: vergleiche Gatha Mu Ga oder Ghanta Karn
  5. WS: Bhai-Pudscha: vergleiche Bhai Dooj (en)
  6. WS: Chicha-Pudscha: vergleiche Khicha Puja (en)
  7. WS: Dasahra- oder Durga-Pudscha: vergleiche Dashahara und Durga Puja; zur tatsächlichen Rolle der Durga siehe Durga
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/362&oldid=- (Version vom 1.7.2018)