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den Namen des „Fünfgesichtergottes“ verliehen hat. Soviel ich erfahren konnte, ist das Lingam in diesem Falle nicht nur wie sonst eine abgerundete Steinsäule, sondern auf allen vier Seiten und auch an der Spitze mit einem gen Himmel gewendeten Antlitz verziert, um die Allgegenwart der Gottheit anzudeuten. Das Begießen wird natürlich mit äußerster Feierlichkeit vollzogen, wobei eine silberne Kanne von der in Nepal für Opferhandlungen üblichen Form und ein daran angeketteter, nie zu profanen Zwecken verwendeter Löffel benutzt wird, der ebenfalls mit mythologischen Gestalten verziert ist; vor dieser stets mit heiligem Wasser gefüllten Kanne, die mit Götterbildern und einer zum Griff gekrümmten Schlange geschmückt ist, steht eine kleine, beständig brennende Öllampe, mit der während des Begießens kreisförmige Bewegungen um das Idol vollzogen werden. Ein winziges Kännchen in derselben Form fehlt in keiner brahminischen Hauskapelle.

Nepalische Opferkanne mit Lampe und Löffel.

Voraussichtlich wird in absehbarer Zeit kein Europäer in die Lage kommen, dieses fünfköpfige Lingam zu sehen; als einen gewaltigen Fortschritt muß ich es bezeichnen, daß ich bei der Aufnahme der hier wiedergegebenen Abbildungen nicht ernstlichen Widerstand fand, denn es ist noch nicht allzulange her, daß ein englischer Gesandter in Nepal bei seinem Versuche, diese Tempelanlage abzuzeichnen, durch Steinwürfe fanatischer Pilger gestört wurde. Meine Eskorte, die sich häufig unnötig wichtig machte, schien zu gespannt auf mein Hantieren und auch zu belustigt darüber zu sein, daß weder Priester noch Tempelbesucher von meinem Tun etwas zu ahnen schienen, um dagegen einzuschreiten. Allerdings gestand mir später ein Büßer, der Sadhu, dessen Figur in scharlachrotem Mantel, roter Kappe und mit schneeweiß getünchtem Gesicht in einer Ecke der Pilgerhalle zu erkennen ist, daß er mich während der Panoramaaufnahme nicht aus den Augen gelassen habe, in der Befürchtung, ich wolle aus meiner Maschine irgend einen verderblichen oder verhängnisvollen Gegenstand in den Tempelbezirk schleudern und diesen dadurch entweihen.

Nahe bei dem bereits erwähnten, von Buddhisten wie brahminischen Hindus

gleich hoch verehrten, dem Gotte Ganesch geweihten Tempel wurde von der Asokatochter Charumatti das nach ihr Charu Wihar genannte Frauenkloster gegründet,[WS 1] in dem sie selbst als Bikhschuni oder gottgeweihte Klausnerin[WS 2] unter Verzicht auf alle einer Prinzessin zustehenden Rechte in Dürftigkeit lebte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Charumatti, Charu Wihar: vergleiche Charumati (en), Charumati Vihara
  2. WS: Bikhschuni: vergleiche Bhikkhuni
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/360&oldid=- (Version vom 2.7.2018)