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Tempeln schallenden, betäubenden Lärm von Tamtams, Klingeln und Muschelhörnern, und man kann sich ungefähr ein Bild dieser nepalischen Städte machen. Eins freilich kann ich mit Worten nicht gebührend schildern, das ist der Mangel an Sauberkeit auf den Gassen, auf die jeder das hinschüttet, was er in seinem Hause nicht gern sieht, und der aus dieser grauenhaften Schmutzerei entstehende, unsagbar widerwärtige Geruch, der dadurch nicht an Lieblichkeit gewinnt, daß das Leibgericht der Nepaler tatsächlich in Fäulnis übergegangene Rettiche sind, denen ich noch schmeichle, wenn ich versichere, daß ihr Duft, wenn auch nicht an ein Veilchenbeet, so doch an Schwefelkohlenstoff erinnert.[WS 1]

Leider entbehren die neueren, unter den Gorkhas entstandenen wenigbedeutenden Gebäude des ansprechenden Schmuckes durch Holzbildhauerwerke, und es scheint, als ob diese ganze Kunstindustrie unter den jetzigen Landesherrschern, denen die Grazien wohl nicht so hold wie den Newaris sind, für immer untergegangen ist; alle mit dem vierzehnten Jahrhundert in Nepal entstandenen bedeutenderen Bauten wurden von Newari-Königen errichtet.

Hautpstraße in Katmandu.
Links ein Teil des Königspalastes, davor das schwarze Steinbild der der Cholera-Göttin Kala Bhairab.[WS 2]

Tibeter vor dem Kolossalbilde der Cholera-Göttin Kala Bhairab;
Sie handeln mit Goldsand, Edelsteinen, Gebirgskräutern und Harz für Rauchopfer

Von allen Plätzen in Katmandu schien mir der am „Kot“ den bezeichnendsten Hintergrund zu haben. Ich meine damit nicht den hinter allen nepalischen Städten und Landhäusern am Horizont sichtbaren Schneewall des Himalajagebirges und seines allerhöchsten Gipfels, sondern das an einer hohen Steinmauer angebrachte und pechschwarz angestrichene Riesen-Reliefbild der Todesgöttin Kali[WS 2]. Keine andre Figur kann besser an die zahllosen Opfer erinnern, die in Nepal von jeder Epidemie wegen der herrschenden Unsauberkeit und des schlechten Wassers hinweggerafft werden. Aber schon die im Jahre 1892 fertig gestellte Röhrenleitung, die der Stadt Katmandu aus den höheren Bergen reines Quellwasser zuführt, hat für diesen Ort hierin tatsächlich Wandel geschaffen, und die bei meiner Anwesenheit dort bereits begonnene Kanalisierung wird die gesundheitlichen Verhältnisse wohl noch wesentlich verbessern. Bis dahin hielten es die Eingebornen für einen schweren Frevel, dem Wüten der Todesgöttin durch praktischere Mittel als Opfer und Bußübungen Einhalt tun zu wollen!

Katmandu ist aber doch nicht ganz der richtige Ort, um in Nepal die Vorstellung des indischen Altertums zu gewinnen; Patan und Bhatgaon sind die Städte, wo dies in viel eindringlicherer Weise möglich ist.

Der halb-europäische Bastardstil, den die neuesten der von den Gorkhas in Katmandu errichteten modernen Baulichkeiten aufweisen, gibt dieser Stadt hie und dä einige Ähnlichkeit mit einer von Engländern bewohnten indischen Stadt, wozu namentlich der östlich vor der Stadt liegende große Thandi Kahl, ein von Kasernen, Geschützgießereien und Zeughäusern umringter Exerzierplatz, nicht wenig beiträgt.

Die militärischen Übungen werden genau nach englisch-indischer Schablone abgehalten, da ja die meisten nepalischen Unteroffiziere eine zehnjährige Dienstzeit in englischem Solde durchgemacht haben, wobei vorzugsweise die Stämme der Khas und noch lieber die der Magars und Gurungs angeworben werden; dagegen sind die kriegerischen Gorkhas genötigt, sich ihren Waffenbedarf,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: in Fäulnis übergegangene Rettiche: vergleiche Nepalesische Küche; beliebt ist fermentiertes Gemüse (hier: Winterrettich bzw. Sinki, en - mit derselben Berechtigung ist auch Sauerkraut „in Fäulnis übergegangener“ Kohl)
  2. a b WS: Kali / Kala Bhairab: Vereinigung der Götter Kali und Bhairava. Vergleiche auch Kal Bhairav in Kathmandu
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/334&oldid=- (Version vom 2.7.2018)