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Gepäck die Treppen herauf, erschraken aber nicht wenig, als ich ihnen rundweg erklärte, daß ich ihr beständiges Zurückbleiben mit den für mich nötigsten Sachen satt hätte und noch am selben Abend über den Tschandragiripaß bis nach Thankot wolle.[WS 1] Ganz abgesehen von der Unsauberkeit des Ortes, hätte mir auch das unaufhörliche Gekläff aus Hunderten von Hundekehlen keine angenehme Nachtruhe vergönnt; deshalb bat ich den Hauptmann, der die Meute befehligte, um Beistand und brachte mit dessen Hilfe auch eine neue Kulikolonne auf die Beine, nachdem die Mehrzahl meiner Träger erklärt hatte, nicht mehr weiter gehen zu können. Ich zog es diesmal vor, mich behaglich in meinen in allen Fugen ächzenden Tragstuhl zu setzen, doch hatten es die Kahars nicht leicht, gegen den uns begegnenden Strom von Jagdhelfern anzuschwimmen, die wie ein Heerwurm von der Höhe des Tschandragiripasses auf einem überaus bösartigen, steinigen Pfad nach Tschitlong hinunterstiegen. Immer neue Mengen von Hunden und Jagdfalken wurden an mir vorbeigeführt, immer seltsamere Gestalten hoher und höchster Würdenträger an mir vorbeigetragen. Die meisten dieser Generäle und Hofbeamten schienen es nämlich für das Bequemste zu halten, sich nicht in einem Stuhl, sondern gleich in einer an dicker Stange festgebundenen Wolldecke wie ein Paket über Berg und Tal transportieren zu lassen. Bisher hatte ich immer geglaubt, bei dem von mir erwähnten Durbar des Maharadschah von Gwalior die wunderlichsten Gestalten Indiens versammelt gesehen zu haben, hier aber kam mir das meiste von dem, was Nepal an martialischen Prachtgestalten aufzuweisen vermag, wie auf einem Präsentierteller, oder richtiger in Hängematten, entgegen!

Es war ein Glück, daß die schweren Nachmittagsschatten überhaupt keine Momentphotographien mehr zugelassen hätten, sonst hätte mich doch das Verbot des Photographierens unsäglich geärgert. Die bunteste Augenweide, die Indien bieten kann, zog hart bei mir vorüber, der ganze ungeheure Schwarm von Menschen, alle die seltsamen Geräte und die Berge von Lebensmitteln, die zu einem Zeltlager so vieler an glänzenden Prunk und üppiges Wohlleben gewöhnter Damen und Herren gehören. Ich mußte staunen, wieviel Kräfte allein zum Fortbewegen der zahllosen Ballen von Leinwand und des Waldes von riesigen Zeltstangen erforderlich waren, aus denen solche Zeltstadt ersteht.

Das größte Vergnügen machte mir die Begegnung mit dem zu einer solchen Jagd und Zelthofhaltung erforderlichen Kleingelde. Je tausend Rupien in verschiedenen Münzsorten waren in einen gewaltigen Sack eingenäht, der dann wie ein Heiligtum in einer Hängematte transportiert wurde. Es schienen mehr als hundert derartige vollgepfropfte Portemonnaies zu sein, deren Inhalt bei dieser Gelegenheit unter die Leute gebracht werden sollte. Hin und wieder wurde auch einem in seiner Hängematte schaukelnden Großen des Reichs ein Jagdpferd nachgezerrt, das zitternd und schaumbedeckt nur durch Anwendung von brutaler Gewalt schrittweise auf diesem abscheulichen Wege vorwärts zu bringen war; wertvollere Pferde wurden dagegen, in Sänften oder riesigen

Dändis verpackt, von einer Anzahl Kulis über die Paßhöhe geschafft.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Tschandragiri, Thankot: vergleiche Chandragiri (Kathmandu), Thankot (en)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/316&oldid=- (Version vom 1.7.2018)