Seite:Durch Indien ins verschlossene Land Nepal.pdf/301

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Segauli vollkommen recht und möchte niemandem den Versuch empfehlen, anders als im menschenquälenden Palankin durch die abscheulichen Geröllmassen vorwärts zu kommen, die hinter Bitschako als Boden eines ausgetrockneten Flußbettes die Straße vorstellen. Zu Fuß, und noch dazu in Lederstiefeln, ist es eine Stolperei ganz ohnegleichen, zu Pferde würde es aber eine noch unerhörtere Tierquälerei sein; die barfuß laufenden Palkiträger kommen tatsächlich über dieses Meer von losen runden Steinen noch am leichtesten hinweg. Auch die zweiräderigen Karren der Teraikarawanen bahnen sich, so schlecht es auch geht, mit gräßlichem Knarren und Quietschen ihren Weg durch dieses Flußbett, das natürlich während der Regenzeit von einem brausenden Waldstrom ausgefüllt ist, jetzt im Winter aber nur von einigen schmalen Wasseradern durchrieselt wurde.

Meine Kulis krochen wie Schnecken über diesen schauderhaften Boden fort, so daß ich reichlich Zeit fand, die heute gänzlich veränderte Landschaft zu betrachten. Die merkwürdige Flußbettstraße wird nämlich durch bewaldete, steil abfallende Konglomeratwände[WS 1] gesäumt, die an Höhe und Formwildheit zunahmen, je weiter ich ging. Sie ragten ganz wie zerschossene, verwetterte Festungsmauern und Türme in die Luft, genau wie die Felsgebilde der „Sächsischen Schweiz“. Glücklicherweise verläßt die Straße nach mehreren Stunden den Wasserlauf und führt steil durch einen Hohlweg in einen herrlichen Wald von hochstämmigen Salbäumen.

In diesem Hohlweg, der für Verkehrsstockungen wie geschaffen zu sein scheint, hatte ein Karren das eine seiner beiden riesigen, massiven Räder verloren und durch seinen Umsturz sowohl die ihm folgenden, wie auch alle begegnenden Karren aufgehalten, unmittelbar nachdem ich diese kritische Wegstelle passiert hatte. Dadurch wurden meine Kulis, ohne daß ich es wußte, zurückgehalten und von mir getrennt, so daß, als ich endlich sehr erschöpft in Hetaura[WS 2] eintraf, weder von ihnen noch von meiner Feldküche etwas zu erblicken war. Vergeblich versuchte ich in den dürftigen Bauernhäusern für Geld und gute Worte etwas Eßbares aufzutreiben; die Weibsleute schlossen entweder entrüstet ihre Türen und rannten davon, oder erhoben ein so entsetzliches Geschrei, daß ich ganz betäubt auf alle ferneren Verpflegungsversuche verzichtete. Die bisherigen Strapazen, die ungesunde Luft im Terai, die stechende Hitze und schließlich die mangelhafte Beköstigung hatten mich aber nachgerade so mürbe gemacht, daß ich mich ohne weiteres im Schatten eines dichtbelaubten Banyanbaumes auf die Erde warf; ich besaß jedoch noch Energie genug, mich sogleich wieder aufzuraffen, als ich spürte, wie sumpfig das ganze Erdreich und wie erhitzt ich selber war. Von einigen in der Nähe lagernden Afghanen, die mit Pelzwaren handelten, erstand ich für 20 Rupien ein herrlich geschecktes Leopardenfell und von einem Kärrner eine Strohdecke, so daß ich nun wenigstens eine trockene gesunde Lagerstätte hatte, um die Ankunft meiner Kulis abzuwarten.

In meinem von zahllosen Fliegen und Moskitos gestörten Halbschlummer

bemerkte ich, wie sich plötzlich eine ferne Blätterwand teilte und daraus eine

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Konglomerat: vergleiche Konglomerat (Gestein)
  2. WS: Hetaura: vergleiche Hetauda
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/301&oldid=- (Version vom 1.7.2018)