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und erleichtert, als ich dies mit gutem Gewissen verneinte. Auch mir fiel ein Stein vom Herzen, als er das kritische Gespräch abbrach und ein paar Dienern befahl, meine Kulis herbeizuschaffen. Dann fragte er höflich: „May I go?„Certainly, sir!“ antwortete ich und bedauerte im Interesse meiner Leser die Harmlosigkeit des ganzen Vorganges. Wieviel interessanter wäre es gewesen, wenn mein deus ex machina keine so elegant und tadellos zugeschnittene braune Samtjacke, sondern eine eisenklirrende Rüstung getragen und wutschnaubend befohlen hätte, mir meine weiße Haut über die Ohren zu ziehen, mich am Spieß recht schön knusperig braun zu braten oder gar in Öl sieden zu lassen! Statt dessen wurde mir von seinen Leuten meine jetzt sehr kleinlaute Kulibande zugeführt, und die ganze Romantik beschränkte sich auf die mittelalterlichen Gestalten der Schikare mit den Jagdfalken auf der Faust, auf die Hundewärter, Büchsenspanner und Fackelträger.

Der folgende Tag stellte an meine Marschfähigkeit wirklich harte Anforderungen. Fußhoher Sand und Staub, sengende, blendende Sonne, unabsehbare, schwefelgelb blühende Rapsfelder, das alles wäre bald recht lästig und einförmig geworden, wenn meine Heiterkeit nicht durch allerlei Genrebilder genährt worden wäre, die ich im Palki jedenfalls nicht wahrgenommen hätte. Da ich den Kulis stets weit voraus zu sein pflegte, um weniger von dem Staube zu leiden, war das Erstaunen der Feldarbeiterinnen über meine einsame Erscheinung nicht gering, und ihre mit Furcht gemischte Neugier äußerte sich ganz unwiderstehlich komisch. Ich wurde dann stets an meine Reisen in Persien erinnert, wo beim Einreiten in ein Dorf auch häufig ganze Reihen solcher Evatöchter standen, die sich erschreckt und verschämt in Ermangelung eines Schleiers ihr einziges dürftiges Röckchen vor das holde Angesicht hielten. Bei einem Flusse, der durchwatet werden mußte, wußte ich nicht recht, ob eine bockbeinige Hammelherde, die nicht gutwillig durchs das Wasser wollte, oder eine scheue Mädchenschar, die vor meiner entsetzlichen, d. h. europäischen, Erscheinung Reißaus genommen hatte und sich nun durch den Fluß aufgehalten, also zwischen zwei Feuern sah, einem humoristischen Maler dankbarere Motive abgegeben hätte. Andererseits war es mir doch recht schmerzlich, auch hier zu sehen, daß die meisten Hindus dem weißen Manne, dafern sie nicht vor ihm in geheuchelter Knechtseligkeit auf die Kniee sinken, aus dem Wege gehen oder gar, und noch dazu die schönere Hälfte, davonrennen, als ob der leibhaftige Gottseibeiuns auf der Bildfläche erschienen wäre. Zum Glück gibt es aber auch hier manchmal Ausnahmen von der Regel.


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Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/297&oldid=- (Version vom 1.7.2018)