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war jedoch nicht das mindeste zu sehen, aber leider auch ebensowenig jemand, der mir meinen Paß hätte einhändigen können; nichts verkündigte, daß ich bereits im „verschlossenen“ Lande Nepal angelangt sei.

Der Karrenweg setzte sich auf dem nördlichen Ufer ebenso holprig und staubig fort; die zwei, drei Häusergruppen, durch die wir kamen, sahen genau so aus, wie die bisherigen Bauernhäuser in Bengalen, und das Korn wurde ganz wie dort von nackten kleinen Buben mit Holzhämmern ausgeklopft oder von Ochsen ausgetreten, die zu dreien oder vieren dicht aneinander gedrängt, aber nicht angeschirrt, einen Pflock in der Mitte der Tenne umkreisten.

Meine Kahars rannten wie besessen, so daß wir bereits zu Mittag im Dorfe Racksaul einen Tagesmarsch von 18 englischen Meilen hinter uns hatten. Länger hielt ich es aber in dem Marterkasten wirklich nicht aus, sondern schickte ihn und seine Trägerkompagnie nach Hause; begreiflicherweise machten sich die Leutchen nebst ihrem so leicht verdienten Lohne mit nicht allzu betrübten Gesichtern aus dem fußhoch liegenden Staube. Man wird aber bald sehen, daß ich mit diesem voreiligen Entlassen des Palkis und der Kahars doch einen großen Fehler gemacht hatte; auch glaubten nun die Lastkulis, daß ich gar keine Eile hätte und daß sie in Zukunft die Tagesmärsche ganz nach ihrem Ermessen abteilen könnten.

Wenn ich so gewissenhaft zwischen Kahars und Kulis unterscheide, so hat dies seinen guten Grund. Der Palankinträger oder Kahar dünkt sich gesellschaftlich unendlich hoch über einen Kuli erhaben und hält sich für viel zu vornehm, um mit einem Lastträger in dieselbe Reisschüssel zu greifen, oder gar aus derselben Wasserpfeife zu schmauchen, was ja nur Mitglieder gleichstehender Dschatisippen tun dürfen. Die Absonderung der zahlreichen Dschatis, in die sich die vier Warnas, d. h. die nach Hautfärbung und Rang geschiedenen Hauptkasten, gliedern, geht ja sogar so weit, daß der Sohn eines Fischers, der auf hoher See seine Netze stellt, nicht die Tochter eines Kollegen heiraten darf, der seine Beute nur mit dem Dreizack aus einem Teiche gabelt.

Schlauberger wissen sich jedoch selbst in den verzwicktesten Kastenfragen zu helfen. Will jemand z. B. Ziegelsteine oder Bücher forttragen lassen und kann gerade keinen Lastkuli bekommen, so bestellt er sich einen Palki, packt nächtlicherweile die Last hinein, versiegelt die Türen und macht den Kahars weiß, daß ein wunderhübscher Backfisch in dem Kasten säße; schmunzelnd reibt er sich dann die Hände, wenn die stolzen Kahars, die ja nie eine Kulilast anrühren würden, mit ihrem vermeintlichen Engel davontraben.

Meine Kulis wurden nach dem Weggange der Kahars frech. Sie schleppten meine Sachen in das Hospital von Racksaul, warfen meinen Bettsack auf eine noch nicht von einem winselnden Kranken besetzte Tscharpeu-Bettstelle und erklärten, daß ich, als aus Indien kommend, hier erst zehn Tage auf meine Pestfreiheit untersucht werden müsse. Ich hielt den Beamten die Quittung des Dampfers der City-Linie[WS 1] unter die Augen, zum Beweise, daß ich gar nicht

über das gefürchtete, verseuchte Bombay, sondern über das pestfreie Kolombo

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: City-Linie: wohl die City Line von George Smith & Sons, die ab 1901 in den Besitz der Ellerman Lines überging
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/294&oldid=- (Version vom 1.7.2018)