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malten aber vorher mit Kreide ein allen anderen indischen Dienern verständliches kabbalistisches Warnungszeichen über meine Stubentür, das etwa hieß: „Spart euch nur bei diesem verd.... Kerl die Mühe, anzuklopfen, der kennt seine Pappenheimer!“[WS 1]

Ein Weltreisender erlangt mit der Zeit eine ziemlich dicke Haut, und ich hatte nicht die mindeste Lust, abzuwarten, ob es nicht doch schließlich einem dieser Geister in Ermangelung eines anderen, bequemeren Dienstes belieben würde, einen Versuch mit meiner Wenigkeit zu machen und „in meines Glückes Schiff mit mir zu steigen“. Ich war fest überzeugt, für Geld und gute Worte selbst in Nepal ein Individuum auftreiben zu können, das meiner Galle die erforderliche zuträgliche Bewegung zu verschaffen im stande sein würde und wendete dem Dienerboykott lachend den Rücken. „Wir können uns also die Palkis für Koch und Kellner ersparen, mein lieber Naik. Im übrigen habe ich gar keine Neigung, mich gleich jetzt in die finstere Nacht hineinschleppen zu lassen. Kann ich wohl mein Feldbett im Stationswartesaal aufschlagen?“ „Für den Fall, daß Sie hier übernachten wollen, hat der Resident, als er Nepal verließ und hier durchkam, den Auftrag gegeben, ein Zelt für Sie in Bereitschaft zu halten; dort hinten am Waldrande steht es bereits.“

Während wir dem Walde zusteuerten, fragte ich: „Ist denn der neuernannte englische Gesandte Oberst Wylie[WS 2] schon nach Nepal unterwegs?“ „Nein, Sie werden buchstäblich der einzige Europäer in ganz Nepal sein. Oberst Wylie geht erst in einigen Monaten nach Katmandu.“ So interessant es nun auch klang, in einem Reiche, das sechzigtausend englische Quadratmeilen, also fast halb so groß wie das Königreich Preußen ist,[WS 3] als einziger Europäer zu weilen, so wußte ich doch zugleich, daß ich fortan ganz allein auf mich angewiesen sein und keinerlei Schutz finden würde, wenn mir dort irgend etwas zustieße.

Ich ließ mein Gepäck zu dem Zelt schaffen, vor dem ich mich dann in einem bequemen Armstuhl niederließ, um das mich mit immer neuem Staunen erfüllende Schauspiel des indischen Sonnenuntergangs zu genießen. Der ganze Horizont schien sich in ein einziges purpurnes Flammenmeer zu verwandeln, und: „So stirbt ein Held, anbetungswürdig!“ mußte ich mit Karl Moor sprechen, als die nahen, zartgefiederten Bambusstauden gleich riesigen Trauerweiden über dem in der Ferne verscheidenden Tagesgestirn hin und her wehten. Die brennenden Farben verblaßten mit erstaunlicher Schnelligkeit, und nach kurzer Dämmerfrist blitzten glühende Nachtdiamanten von dem nun sammetschwarz gewordenen südlichen Himmel.

Ich packte beim Fackelschein meine Theemaschine, eine Dose Hasenpastete und anderen Abendimbiß aus der Proviantkiste und hieß einem der dort am Lagerfeuer hockenden Kulis, mir eine Schale Wasser zu bringen; dann lud ich meinen Revolver, legte ihn unter das Kopfkissen und trug einige Notizen in mein Tagebuch. Als ich aufblickte, mußte ich hell auflachen, denn statt der Schale Theewasser schleppten eben sieben oder acht Kulis eine bis an den

Rand gefüllte Badewanne in das Zelt. Ich filtrierte mir meinen Bedarf

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: kabbalistisches Warnungszeichen: vergleiche Zinken (Geheimzeichen)
  2. WS: Oberst Wylie: hier liegt offenbar eine Verwechslung vor. Henry Wylie war bereits seit 1891 Resident, 1899 wurde er Chief commisioner in Belutschistan; die beschriebene Vakanz Ende 1898 wurde gemäß der Liste der Residenten (en) von Archibald Mungo Muir beendet. Dieser verstarb 1899 in Nepal, ihm folgte William Loch (bis 1901/02).
  3. WS: sechzigtausend Quadratmeilen: Nepal ist heute (mit praktisch unveränderter Grenzziehung) 56.827 mi² groß, dies entspricht 147.181 km². Das Königreich Preußen umfasste 134.664 mi², Deutschland seit 1990 umfasst 137.903 mi².
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/291&oldid=- (Version vom 1.7.2018)