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eine solche Fülle von Zweifeln, daß ich nichts Geringeres in Aussicht genommen hatte, als gelegentlich meiner Anwesenheit in Nepal die dortigen Machthaber zu bitten, meine früheren Himalajareisen durch einen Erforschungs- und Besteigungsversuch des Gaurisankar vervollständigen zu dürfen.

Meine Vorbereitungen mußten demnach außerordentlich umfassend sein und nicht nur alles für eine Tropenreise Erforderliche, sondern überdies noch die Ausrüstung für arktisch-alpine Verhältnisse einschließen. Zum Glück besaß ich bereits die wesentlichsten Gegenstände dieser Art, so daß ich verhältnismäßig schnell Kalkutta verlassen und mittelst der bengalischen Eisenbahn über Mokameh an die Grenze Nepals eilen konnte. Wie jubelte ich, als mein letztes Stück Handgepäck im Eisenbahnwagen verschwand!

Auf nach Nepal!

Ich darf es mir wohl ersparen, all die idyllischen Bilder zu zergliedern, die da draußen vor dem Eisenbahnfenster in rascher Folge vorüberhuschten, umrahmt von Palmyrapalmen und Bananengebüsch. Auch wurde ich diesmal wirklich nicht so sehr durch das gefesselt, was mir sonst jede Fahrt durch Bengalen zu einem ästhetischen Hochgenuß gemacht hatte, sobald mein Blick das Tun und Treiben dieser schönen, genügsamen Landleute streifte, denen die Patriarchenzeit noch nicht zum Schäfermärchen geworden ist. Die Kastorölstauden[WS 1] und Dattelpalmen, die Büffel, die durch die überschwemmten Weizenfelder stapften oder sich in den Elefantenschwemmen gütlich taten, wobei sich häufig auf ihrem Rücken neben dem darauf kauernden nackten Hirtenbuben ein paar Stare oder Raben allerlei Leckerbissen aus dem Büffelfell herausgabelten — sie alle hatten für mich an Reiz eingebüßt, da ich nur den einen Gedanken hatte: Schnell vorwärts, damit die Nepaler nicht etwa anderen Sinnes werden und die kaum geöffnete Tür wieder ins Schloß fallen lassen! Mich verdrossen beinahe die grünen Papchen[WS 2] und blauschillernden Königsfischer[WS 3], die übermütig zwitschernd oder voll Seelenruhe in endlosen Reihen gravitätisch auf den Telegraphendrähten saßen, und besonders die Geier, die recht satt und protzig dazwischen auf den Pfosten hockten; noch rauchte da drüben auf dem anderen Gangesufer die Asche der Scheiterhaufen, von denen sich die gierigen Vögel Reste von gebratenem Hindufleisch wegstibitzt hatten. Auch kamen mir diesmal

die Wartezeiten auf den Bahnhöfen ungemein lang vor, während sie mir

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Kastorölstauden: vergleiche Wunderbaum (Ricinus communis)
  2. WS: Papchen: Diminuti̱v zu Papagei, wohl Halsbandsittiche
  3. WS: Königsfischer: vom engl. kingfisher, vergleiche Eigentliche Eisvögel
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/288&oldid=- (Version vom 1.7.2018)