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Vätern eine Menge von Geldgeschenken an die Geschwister der jungen Leute, an die Priester, Heiratsvermittler, Gelegenheitsdichter und Gratulanten verteilt werden. Dann wird der jungen Frau ein Punkt mit Mennigrot auf die Stirn gemalt, ein für heilig gehaltenes Zeichen, das nur Frauen tragen dürfen, deren Männer noch am Leben sind, und zugleich wird ihr eine Arghi[WS 1] genannte und der Durga geweihte Quaste ins Haupthaar geflochten, die aus Kusagras, Reishalmen und Altastoff besteht. Beim Verlassen des Hauses wirft der Brautvater einen Messingteller über das Haupt der Tochter in das vorgestreckte Gewand der hinter ihr stehenden Mutter, worauf die kleine, tiefverschleierte Frau unter den Tränen und dem Schluchzen ihrer weiblichen Verwandten in eine Sänfte oder einen verhangenen Frauenwagen steigt; sie wird in die elterliche Wohnung ihres jungen Gatten gebracht, jedoch mit etwas vermindertem festlichen Geräusch und Gepränge als bei der Ankunft des Bräutigamszuges, weil sich die Freunde des Bräutigams hierbei nicht zu beteiligen pflegen.

Ohrschmuck aus Gold und Edelsteinen. 1/5.

Als Willkommengruß wird zunächst ein Krug voll Wasser unter die angekommene Sänfte oder den Wagen geworfen, worauf die junge Frau aussteigt und in das Haus eintritt; in demselben Augenblick wird ein kleiner Theekessel mit Milch auf das Feuer gestellt, den die Neuvermählte unausgesetzt im Auge behält, während sie in einer mit Milch angefüllten flachen Bronzeschale steht und einen lebenden Fisch in der Hand hält. Sobald die siedende Milch überfließt, wird die kleine Frau entschleiert und muß dabei dreimal die Worte wiederholen: Möge der Wohlstand meines Schwiegervaters in gleichem Maße überfließen wie diese Milch! Während sie dies spricht, legt ihre Schwiegermutter ihr ein dünnes Armband aus Eisen um das Handgelenk, das sie nur bei Lebzeiten ihres Gatten tragen darf und das von ihr deshalb höher als die kostbarsten Schmuckstücke geschätzt wird.

Unter den weiteren im Hause des jungen Gatten folgenden Gebräuchen ist der bezeichnendste das Niedersetzen eines ganz kleinen Knaben auf das Knie des Bräutigams, der dies Kind dann seiner Frau zuführen muß, wobei diese von allen weiblichen Verwandten mit goldenen Armbändern und anderen Schmucksachen beschenkt wird; unter diesen sind Überbrückungen der Ohrmuschel aus Golddrähten und Edelsteinen, an denen oft wahre Trauben aus solchen Steinen hängen, vielleicht noch eigenartiger, als die zierlichen auf den Zehenringen stehenden, blitzenden Filigranbäumchen.

Am nächsten Tage erfolgt eine wahre Überschwemmung mit wertvollen Gaben, Stoffen, Teppichen, Haushaltungs- und Wertgegenständen aller Art, die der Brautvater seinem Schwiegersohn mit ungeheueren Massen von Blumen und Attrappen aller erdenklichen Dinge und Figuren, die Glück, Wohlleben und Gesundheit verkörpern sollen, ins Haus schickt. Auch bei dieser Gelegenheit

speisen die beiden Gatten gemeinschaftlich und müssen sich sogar dabei Mühe

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Arghi: konnte nicht identifiziert werden
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/283&oldid=- (Version vom 1.7.2018)