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unmittelbar zu betrachten, sondern nur als Spiegelbild; zu diesem Zwecke hebt die Schwiegermutter den kleinen nackten Burschen hinter der Schulter des in gebeugter Haltung sitzenden Vaters in die Höhe, so daß dieser ihn zum ersten Male auf einer vor ihm stehenden flachen, mit geschmolzener Kuhbutter gefüllten, blankpolierten Metallschüssel erblickt, in die auch bei der Vermählung gleichzeitig Strahlen von Milch und zerlassener Butter durch einen goldenen Ring hineingegossen wurden.

Jugendliches Radschputen-Ehepaar im Hochzeitsschmucke
mit den nächsten Verwandten.

Ich erwähnte bereits im elften Kapitel, daß ich in Dschodpur gerade während der festlichen Woche weilte, in der sämtliche Hochzeiten des Jahres gefeiert wurden, so daß die an und für sich so seltsame Radschputenstadt in einem wahren Freudentaumel schwamm. Ich muß es bei der starken vorurteilsvollen Abneigung sowohl gegen Europäer, wie gegen das für die Hindus sehr unbehagliche Photographiertwerden als eine Art von Wunder betrachten, daß es mir glückte, eine der zahlreichen durch die Stadt ziehenden Hochzeitsgesellschaften auf die Platte zu bringen. Die Stellungen der meisten Familienmitglieder lassen deutlich erkennen, wie widerwillig sie meiner Bitte und dem guten Zureden des mich begleitenden Staatsbeamten willfahrten, dieses Bild von ihnen zu machen; fast könnte es sogar scheinen, als ob die Brautmutter, die neben ihrer, man möchte sagen hermetisch verschleierten Tochter kauert, die Faust drohend ballt, um ihrer Besorgnis vor dem bösen Blick des aus dem Apparat hervorlugenden blanken Objektivauges Ausdruck zu geben; auch der junge Gatte sieht dem großen Augenblick der Aufnahme mit merklichem Unbehagen entgegen. Viel Vergnügen machte es mir aber zu sehen, wie sich die andere am Fuße des Bildes kauernde Schwiegermutter zwar pflichtschuldigst verschleierte und sogar noch die Hand vor das Gesicht hielt, dabei aber doch nicht umhin konnte, ein bißchen durch die Finger zu gucken, um ja nichts von meinem Gebaren zu übersehen.

Wie überall im Leben und Wesen der Hindus, spielen auch bei der Hochzeit Sinnbilder und Gleichnisse eine hervorragende Rolle. Es erscheint uns kindlich, daß in dem Hochzeitsfestzuge wohlhabender Hindus zahlreiche Modelle von Häusern, Pferden, Wagen und sonstiger wie Spielzeug aussehender Dinge einhergetragen werden, doch sollen diese Symbole nur gute Wünsche für Reichtum und Besitzvermehrung ausdrücken; auch die mit einer Schnur umwickelte Kokosnuß, die der Bräutigam während des Umzuges in der Hand tragen muß, ist uns erst verständlich, wenn wir sie gleich den Hindus als Symbol der Fruchtbarkeit und Segensfülle betrachten. Diese Kokosnuß ist das nie fehlende erste Geschenk des Vaters der Braut an den Bräutigam, dem die anderen: Stoffe, Goldmünzen, Pferde und sonstige Haushaltsbedürfnisse je nach Vermögen folgen, während der Vater des Bräutigams sich auf Übersendung von Schmucksachen, Rohrzucker und Opium an die Familie der Braut zu beschränken pflegt; Die Kokosnuß ist bei der Verlobungsfeier mit einer Schnur umwickelt, die so viel Knoten aufweist, als voraussichtlich noch Wochen verfließen, bis die tatsächliche Vermählung des jungen Paares stattfinden kann.

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Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/274&oldid=- (Version vom 1.7.2018)