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Bewunderung dieses Verdienstes an die dabei wirksam gewesene Triebfeder unersättlicher Habsucht denkt, die gerade die Elemente der von England so gern als Deckmantel seiner Ländergier vorgeschützten Humanität, nämlich Gerechtigkeit und Menschlichkeit, mit erschreckendem Erfolge zu Boden tritt. Aber auch beim Anstaunen und Preisen des englischen Verwaltungsapparates in Indien wird sehr häufig übersehen, daß diesen die Engländer in seinen Grundzügen fast unverändert von seinem eigentlichen Schöpfer, dem weisen Großmogul Akbar, entlehnt haben. Selbst Sir John Lawrence gab den Engländern den guten Rat, nicht zu vergessen, daß die indischen Dorfgemeinden, die sich seit alten Zeiten ganz vortrefflich mit der Selbstverwaltung abzufinden gewußt hätten, eigentlich gar keiner Bevormundung bedürften.

Postamt in Kalkutta.

Eine Fahrt in dem eleganten Villenviertel oder durch die Hauptgeschäftsstraßen der Europäer in Kalkutta, z. B. durch die Old Courthouse Street, führt uns höchst eindrucksvolle Bilder großstädtischer Bauweise vor Augen, die namentlich in dem Palast des Vizekönigs[WS 1], dem Postamt und den umfänglichen Verwaltungsgebäuden zu Tage tritt, so daß man wähnen könnte, in Europa zu sein, wenn nicht auch hier die auf den Straßen verkehrende Bevölkerung überwiegend aus Eingeborenen bestände, deren Erscheinungen aber keineswegs so buntfarbig und abwechslungsreich sind wie z. B. in der Radschputana. Kommen wir aber in die fast ausschließlich von Hindus bewohnten Viertel, so sind wir überrascht, wie wenig den Engländern daran liegt, daß auch diese in einem Zustande erscheinen, der dem Glanze eines Regierungssitzes entspricht. Mit einer für unser Ordnungsgefühl geradezu unverständlichen und peinlichen Gleichgültigkeit sind hier ansehnliche Baulichkeiten mit den denkbar erbärmlichsten Hütten durcheinander gewürfelt, was in gewissem Sinne zwar den Reiz des ungezwungen Malerischen bietet, aber doch mit allen gewohnten Grundsätzen eines geordneten Städtebaues im Widerspruch steht. Selbst die größte der breiten Hauptstraßen des verhältnismäßig ebenfalls noch jungen native quarter, die Harrison Road[WS 2], ist reich an solchen Gegensätzen, die aber wegen ihres europäischen Beigeschmackes nicht jenen künstlerischen Genuß aufkommen lassen, wie alte, echt indische Städte z. B. Gwalior oder Dschodpur.

Bei meinem ersten Spaziergang durch die Harrison Road war ich nicht

wenig überrascht, inmitten des überaus lebhaften Straßenverkehrs auf einer

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Old Courthouse Street, Palast des Vizekönigs: vergleiche Raj Bhavan (en), gelegen an der Old Court House Street (ebenso wie weitere später erwähnte Gebäude, etwa das Great Eastern Hotel).
  2. WS: Harrison Road: seit 1947 Mahatma Gandhi Road (en)
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Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/250&oldid=- (Version vom 1.7.2018)