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heißen Indiens mit Wasser versorgenden Ganges, wodurch der Umkreis von Allahabad in einen fruchtbaren, grünenden Garten verwandelt wird. Auch glauben die Hindus, daß sich noch ein anderer unsichtbarer, unmittelbar vom Himmel stammender Wasserlauf, der Saraswati[WS 1], an dieser Stelle mit dem Ganges vermählt. Seit den ältesten Zeiten wurden deshalb Pilgerfahrten nach dieser Stelle unternommen, und beim Magh Mela-Feste[WS 2] im Januar bevölkern sich die dann sandigen, in der Regenzeit aber überschwemmten Ufer mit badelustigen Pilgern, Priestern, Büßern, Bettlern oder Händlern mit Lebensmitteln und Leckereien, Spielzeug und Schmucksachen, die für ihre Buden an bevorzugten Stellen einen sehr beträchtlichen Platzpacht zu erlegen haben.

Viktualienhändler am Dschamna-Ufer bei Allahabad;
in der Ferne das Fort und die Eisenbahnbrücke.

Ich denke mit einigem Verdruß an meinen ersten Aufenthalt in Allahabad zurück, weil ich damals noch nicht die kleinen Kunstgriffe herausgefunden hatte, mit deren Hilfe ich mir später lästige uninteressante Volksmassen fernhielt, die sich häufig an den von Europäern besuchten Orten in der Hoffnung auf Backschisch vor photographische Apparate zu drängen versuchen. Das wirksamste dieser Hilfsmittel besteht darin, daß man die Entfernung von dem Gegenstand, den man eigentlich aufnehmen will, aber den man so wenig wie möglich beachtet, taxiert und den Apparat auf irgend einen in diesem Abstand, aber in ganz anderer Richtung befindlichen richtet und einstellt. Unfehlbar wird der nirgends fehlende Haufen müßiggehender Jungen und Bettler sich in dieser Richtung ansammeln und sogar an diesem Sammelplatz verbleiben, selbst wenn man die Kamera bald hier- bald dorthin und dabei in die Richtung des wirklichen Zieles dreht. Durch diesen recht widerwärtigen Janhagel[WS 3] wurden mir gerade hier einige der wunderlichen Büßer verdeckt, die in Indien immer seltener werden und die ich erst später im Lande Nepal in größerer Anzahl antraf; nirgends als hier habe ich, aber nur im Jahre 1890 und nicht mehr bei späteren Besuchen, einen Büßer gesehen, der drei volle Stunden mit dem Kopf nach unten über einem Feuer aus gedörrten Kuhdüngerscheiben an einem Gestell aus Bambusstämmen hin- und herpendelte, wobei er sich, wenn es ihm zu warm wurde, mit Hilfe der Unterschenkel wie ein Trapez-Akrobat emporzog, so daß er nicht mehr mit den Fußgelenken,

sondern mit den Kniekehlen in den gepolsterten Ringen an den Seilenden hing.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Saraswati: vergleiche Sarasvati (Fluss)
  2. WS: Magh Mela-Fest: vergleiche Allahabad Kumbh Mela (en)
  3. WS: Janhagel: vergleiche Janhagel (Pöbel)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/223&oldid=- (Version vom 9.7.2018)