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und mit wundervollen Steineinlagen verzierte Mauern an jene Tage fabelhaften Glanzes, wo im Fürstenpalaste zu Agra der Koh-I-Nor[WS 1] als wertvollster Edelstein, den die Erde trug, auf kostbarem Steinsockel prangte, wie er jetzt als schönster Stein in der englischen Königskrone funkelt, und erschreckend leer steht jetzt diese feenhaft geschmückte, von Gold strotzende Audienzhalle zu Delhi, in der der Fürst auf einem Goldsessel thronte, dessen Lehnen aus dem Diamantgefieder von Pfauen bestanden; doch auch dieser Pfauenthron blieb nicht im Lande, sondern wurde durch Nadir Schah[WS 2] nach Persien geschleppt, wo er noch jetzt den Mittelpunkt der fürstlichen Schatzkammern bildet. Besonders hier in Delhi gilt es, die Phantasie anzurufen und sich die wundervollen Steinmosaikböden dieser nun trostlos öden Hallen mit Prachtgestalten belebt zu denken, die man heute nur noch vereinzelt zu Gesicht bekommt, wenn man z. B. das Glück hat, einem großen Durbar[WS 3] oder Empfangstage eines indischen Fürsten beizuwohnen.

Dschuma-Moschee in Delhi.

Es drückt den Geist unsäglich nieder, in Delhi überall die Spuren jähen Schicksalswechsels zu sehen und tiefste Armut und unaufhaltbaren Verfall wahrzunehmen, wo im Mittelalter alle Schätze des Erdballs massenhaft zusammenflossen. Bezeigten die Mohammedaner der Stadt Delhi nicht Opferfreudigkeit genug, aus eigenen Mitteln für die Erhaltung ihrer aus rotem Sandstein erbauten großartigen Dschuma-Moschee zu sorgen, so würde diese wundervolle Moschee, die einen Schuh und ein Barthaar des Propheten, sowie einen von diesem selbst diktierten Koran umschließt, wohl ebenfalls bald nur noch eine Ruine sein, wie es deren auf den Trümmerfeldern um Delhi herum unzählige gibt; die Stadt wurde nämlich nach jeder der sich sehr oft wiederholenden Zerstörungen bald hier bald dort wieder ausgebaut, einmal sogar in plötzlicher Despotenlaune zu Gunsten eines anderen Ortes für einige Zeit als Residenz völlig aufgegeben.

Doch inmitten dieser entvölkerten Ruinen flehen die Mohammedaner zu Allah und seinem großen Propheten, und aus vielen Merkzeichen spricht die in Indien noch lange nicht erloschene zähe Lebenskraft des Islam. Mit welchem Ernst versammeln sich seine Anhänger an jedem Freitag in der Halle der Dschuma-Moschee zur Predigt, und wie qualvoll dicht aneinander gedrängt erfüllen sie am Id-Feste[WS 4], aus ganz Nord-Indien herbeigeströmt, den ungeheuren

Hof, in dem sich das Becken für die religiösen Abwaschungen befindet! Mit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Koh-I-Nor: vergleiche Koh-i-Noor
  2. WS: Nadir Schah: vergleiche Nadir Schah
  3. WS: Durbar: vergleiche Durbar (court) (en)
  4. WS: Id-Fest: „Fest“ (id/eid) werden unter anderem genannt: Eid al-Fitr und Eid al-Adha
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/204&oldid=- (Version vom 1.7.2018)