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„Der Tag fängt ja gut an,“ dachte ich, während ich meinen Apparat aufstellte und die Kassetten bereit legte; dabei ließ ich meine Augen prüfend über einzelne Gestalten schweifen, wobei ich aber von deren farbenreicher Gesamtheit wie betäubt blieb.

Ich will es nur gestehn: mir war, ich wußte nicht wie! Weniger wäre entschieden mehr gewesen, denn wohlgezählte 35 gar nicht sonderlich blöde oder spröde, fortwährend kichernde und schwatzende Künstlerinnen hatten sich inzwischen um mich angesammelt, beobachteten gespannt meine Vorbereitungen des Apparates und drangen dann zungenfertig und dabei bald hier bald dorthin huschend, mit tausend Fragen auf mich ein; zwei der Damen schleppten dabei zwanglos stramme Babies mit sich herum, die ihnen nach Landessitte auf der Hüfte saßen.

Ich fühlte so viel vereinter weiblicher Kraft gegenüber etwas wie eine Ohnmachtsanwandlung über mich kommen. Daß mit dieser unbändigen Amazonenschar im ganzen nichts anzufangen war, wurde mir bald klar, als ich die stattliche Zahl ehrwürdiger Semester sah, die hier neben ein paar allerliebsten kleinen Füchschen oder richtiger Ratten als jedenfalls hocherfahrene Meisterinnen der Tanzkunst glänzten, die gewiß schon manchen Ballettsturm erlebt hatten; freilich darf man hierbei nicht an die Fußgeschicklichkeit unserer Ballerinen denken, um nicht ungerecht gegen die Leistungen der indischen zu werden, die sich vor allen Dingen bestreben, durch lebhafte Mimik und eine eigentümliche Beredsamkeit des in allen Muskeln beweglichen Rumpfes Gedanken, Empfindungs- und Leidenschaftsentwickelungen auszudrücken, die für den Europäer schon deshalb langweilig sein müssen, weil er die während dieser Mimerei gesungenen, genauer gesprochen sogar häufig arg geplärrten Liedchen nicht versteht. Der Indier dagegen faßt alles dies sofort auf und folgt einer solchen Nautsch-Aufführung mit für uns unbegreiflicher Geduld und Wonne. Die wundervollen deutschen Übersetzungen, die Leopold von Schröder[WS 1], Brunnhofer[WS 2], Hertel[WS 3] und in freier Nachbildung auch Adolf Wilbrandt[WS 4] von diesen Liedern geschaffen haben, setzen nunmehr jeden in die Lage, einen Begriff von der zierlichen Feinkunst indischer Lyrik zu bekommen, deren reicher Inhalt manche vergeblich nach „Kunst im Kleinen“ herumsuchenden Überbrettler[WS 5] mit noch gefälligeren Kunstmitteln als Klinglingling und Trallala vertraut machen kann. Wie überaus gefällig malt z. B. der ebenso geniale wie launige Hala[WS 6] selbst Alltäglichkeiten, wie folgende Küchenszene:

Töchterlein fein,
Laß dein Blasen ’mal sein,
Bringst doch kein Feuer zustande!
Zu schwach ist noch dein Hauch,
Noch beißt dich ja der Rauch,
Schon glühn dir die Augen am Rande!
Nicht so mit Tränen den Herd besprengt,
Nicht so mit Wallen den Busen beengt,
Sonst sprengt er noch alle Bande!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Leopold von Schröder: vergleiche Leopold von Schroeder (1851–1920)
  2. WS: Brunnhofer: vergleiche Hermann Brunnhofer (1841–1916)
  3. WS: Hertel: vergleiche Johannes Hertel (1872–1955)
  4. WS: Adolf Wilbrandt: vergleiche Adolf von Wilbrandt (1837–1911)
  5. WS: Überbrettler: Berliner Kabarettkünstler Anfang 20. Jahrhundert, vergleiche Überbrettl
  6. WS: Hala: vermutlich gemeint: König Hāla, regierte 20-24 n. Chr. (en)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/180&oldid=- (Version vom 1.7.2018)