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Knirps, dem die Fütterung der Zugtiere obliegt, denn die indischen Kutscher kümmern sich hierum ebensowenig wie um die Straßen-Passanten, und merkwürdigerweise wird von dem indischen Publikum nicht der Kutscher, sondern der Überfahrene ausgescholten. Geradeso wie diese Kutscher duseln die meisten Hindus niederer Kasten gedankenlos und träumerisch vor sich hin, ganz als ob sie durch ihr erbärmliches Los um jede Besinnung gebracht wären. Sie rennen blindlings gegen spitzige Stöcke, stolpern über jeden Stein und tappen in jede Pfütze, werden aber dabei durch neuen Schrecken immer ängstlicher und linkischer. Ein trübseliges Volk, diese Kulis! Selbst in fettesten Zeiten haben sie nicht genug zum Sattessen, und daß sie in den Zeiten furchtbarer Hungersnöte nicht zuviel zum Verhungern haben, beweisen die grauenhaften Ziffern der in den letzten Jahren Verhungerten.

Barbier beim Einseifen.

An allen Straßenecken lungern derartige arme Kerle herum und warten auf Arbeit, am liebsten aber halten sie sich in der Nähe der Barbiere auf, die ihre haarschneidende Tätigkeit an jedem beliebigen Platze, selbst inmitten herumtrabender Kälber und hin und her laufender Bazarbesucher vollziehen. Den vor dem Barbier kauernden Opferlämmern wird aber der Schädel nur dann spiegelblank rasiert, wenn dem Kunden irgend ein naher Verwandter gestorben war und diese Trauertracht gewünscht wird, oder falls er ein Mohammedaner ist; sonst muß ein mehr oder weniger stattlicher Haarschopf ausgespart bleiben. Der Friseur gestattet hierbei seinem Kunden großmütig, einen verschämten Blick auf einen blanken Spiegel zu werfen, den er ihm während der Behandlung in die Hand gibt, ähnlich den Verkäuferinnen von Betelblättern, die ihren Abnehmern ebenfalls einen Gratisblick in ihren Spiegel erlauben. Seinen Spiegel legt der Barbier sonst aber nicht gern aus der Hand, denn nur mit einem solchen gilt dem abergläubischen Hindu das Begegnen eines Barbiers für eine gute Vorbedeutung.

Der überwiegend große Teil aller den Bazar belebenden Gestalten sind Kulis, denn selbst zum Tragen ganz geringer Bürden hält sich jeder andere Hindu für zu gut; das Zeichen ihres Gewerbes, den runden Marktkorb, stülpen sie als durchaus zweckmäßigen Sonnenschirm über den Kopf, wenn sie nichts

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Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/170&oldid=- (Version vom 1.7.2018)