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Freilich habe ich eine üble Konkurrenz. Vor Ihrer Hoteltür drängen sich alsbald nach Ihrer Ankunft listig mit den Augen zwinkernde, sich Lokal-„Guides“ nennende Ortsführer an Sie heran; diese mischrassigen gelben Schufte, sogenannte Portugiesen, klimpern in der einen Hand gewöhnlich mit allerlei unkenntlichen, angeblich in Indien gefundenen römischen oder griechischen Goldmünzen, in der anderen haben sie eine Mappe voll ebenso unkontrollierbarer „Native Stamps“, längst verschollener Briefmarken einst unabhängiger indischer Radschahs. Nur zu gut wissen diese Gutedel, was einen Teil der Vergnügungsreisenden nach Indien lockt: Wunsch nach Abwechslung, nach Sensation, nach etwas ganz Apartem, besonders in Bezug auf Damenbekanntschaften; unverblümt greifen diese Kerle deshalb der Frage: Où est la femme? mit faunischem Grinsen vor und stehen sich gut bei ihrem Geschäftchen.

Jetzt, nach der Pestheimsuchung,[WS 1] zeigt Bombay nicht seine einstige Miene, und der sonst vollblütige Puls schlägt matt und entkräftet; das Bombay von heute ist bei weitem nicht mehr zu vergleichen mit der lebensvollen, gesundheitstrotzenden Weltstadt, die ich in Bombay vor einem Jahrzehnt zum ersten Male erblickte.

Als ob in diesem reichgesegneten Lande der Gegensätze selbst der Fluch auf die Spitze getrieben sein müsse, erreichen hier auch alle Landplagen die verheerendste Kraft: Dürre und Hungersnot, Reptilien und Raubtiere, Cholera und Pest! Aus ihrem ständigen Neste in der Nordwestprovinz Kumaon[WS 2] schlich das scheußliche Pestgespenst meuchlings in die dichtestbevölkerte Stadt Indiens. Wie ein Drommetenstoß[WS 3] des jüngsten Gerichts ertönte der Schreckensschrei, der ihre Ankunft in Bombay begrüßte und mit Windeseile zu einem Sturm anschwoll, der mit rasender Schnelle Tausende von Eingeborenen besinnungslos flüchtend aus dem indischen Babel hinauswirbelte. Und wie entsetzlich rechtfertigte die Beulenpest ihren gefürchteten Namen! Mehr als fünftausend sanken bis jetzt in jeder Woche während der fünf Hauptepidemien der Pest in der Präsidentschaft Bombay[WS 4] dahin, angehaucht von dem giftigen Odem dieser Harpyie! Ist die Gräßliche zufrieden mit diesem Triumph? Wollte sie der in unstillbarem Durst nach Gold fiebernden Weltstadt ein warnendes Mene Tekel zuzischen? Wird sie jetzt gemästet zurückkriechen zu den dürftigen Hirtenhütten in den moderduftigen Urwaldvorhügeln des Kumaon-Himalaja, oder wohin zielt nun ihr tötendes Schielen?

Um zu begreifen, wie die ansteckende Seuche sich so unhemmbar in Bombay verbreiten konnte, wollen wir einen Augenblick hineinschauen in die Lebensweise jener ungeheuren Massen, die in der Eingeborenenstadt zusammengepfercht hausen.

Aber noch sind wir nicht dort, noch sitzen wir unter den wehenden Riesenfächern, die über der mit Blumenschmuck überladenen Table d’hote[WS 5] hin und her pendeln, noch schauen wir behaglich vom Balkon des Hotels zu den Gauklern

hinunter, die dort nach dem Gabelfrühstück, nach dem Tiffin[WS 6], ihre von mir bereits ausführlich geschilderten Künste produzieren: der eine hetzt ein dressiertes

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Pest in Bombay: 1896-1904, vergleiche Bombay plague epidemic (en)
  2. WS: Kumaon: vergleiche Kumaon division (en)
  3. WS: Drommete: vergleiche Trompete
  4. WS: Präsidentschaft: vergleiche Bombay (Präsidentschaft)
  5. WS: Table d’hote: vergleiche Table d’hôte
  6. WS: Tiffin: vergleiche Tiffin (en)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/165&oldid=- (Version vom 1.7.2018)