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steht in der Nähe. Wie ein Ameisenhaufen kribbelt das Volk auf den Straßen durcheinander, und dicht gedrängt stehen die buntfarbigen Massen auf den flachen Dächern der rosa, gelb oder lachsfarbig, also stets hell, getünchten Häuser; prächtige Teppiche hängen aus den Fenstern und von den Balkonen.

Schon naht der Zug, ein wahres Meereswogen greller Farben und ungeheuerlicher Gestalten. Voraus laufen, wie allerorten bei solchen Gelegenheiten, Pöbel und Straßenbuben; dann folgt der Polizeipräsident, der Kotwal[WS 1], auf seinem Staatselefanten. Zunächst erscheint eine Schwadron eingeborener Reiter, einzeln oder zu zweien auf ihren Kamelen hockend, sehnige, martialische Hindus oder Kamelreiter aus Sansibar, und hinter diesen kommen die trefflich einexerzierten, aber mit veralteten Waffen ausgerüsteten Fußtruppen. Moderne Waffen in Indien einzuführen ist nicht nur streng verboten, sondern bei dem von den Engländern in Indien benutzten Heer von Geheimpolizisten und bei der unablässigen Überwachung jedes Verdächtigen geradezu unmöglich. Somit blieb dem Neisam nichts anderes übrig, als seine Truppen wohl oder übel den Engländern zur Verfügung zu stellen, denn dort auf den Hügeln im Rücken der Stadt stehen die Batterien, die endlosen Zeltreihen des englischen Heerlagers bei Sikandrabad! Die Stadt Heidrabad ist zwar von englischen Soldaten entblößt, aber in demselben Augenblick, wo der Signalwimpel an dem hohen Mast im Burghof des englischen Residenten emporflattern oder der drahtlose Funkentelegraph hinaufmelden würde, daß der Neisam seine Vasallenstellung vergessen und den Versuch gemacht habe, in seinem Lande den Herrn zu spielen — in demselben Augenblicke wäre er selbst nebst seinem Palast und seiner Residenz mit ihrer halben Million Einwohner in Atome zerschmettert! Mit der größten Liebenswürdigkeit wird der Neisam zuzeiten eingeladen, sich auf dem Schießplatz von der Leistungsfähigkeit und Wirkung der englischen Granaten zu überzeugen, die in den Schanzen von Sikandrabad zu Tausenden lagern. Er begnügt sich weislich mit dem äußeren Schein von Macht, der sein öffentliches Auftreten, zumal an Festtagen wie dem heutigen, umgibt.

Dort thront er, der Neisam, schneeweiß gekleidet, Diamanten im Turban, in höchst eigener Person auf dem Balkon eines Palastes und nimmt die Heerschau, die siebenmal wiederholten Begrüßungsverbeugungen seiner Vasallen ab, umringt von seiner seltsamen arabischen Leibwache. Wie Söhne der Hölle gebärden sich diese Araber an dem heutigen Tage! Gräßlich, markdurchdringend schallt das schrille Quäken ihrer Querpfeifen, das wüste, wilde, unregelmäßige Stampfen und Trommeln auf ihren kupfernen Kesselpauken in das kreischende, fauchende Anrufen Alis und seiner Söhne aus den rauhen Kehlen opiumtoller Fanatiker. Mit den plumpen Kolben ihrer vorsintflutlichen, zwei Meter langen Gewehre stoßen und hauen andere Wächter der Ordnung in die Massen des Volkes um den unaufhaltsam vorwärts schreitenden, einander folgenden plumpen Elefanten den Weg zu bahnen, von denen in den weiten Höfen des Neisams nicht weniger als dreihundert solcher Festtage zu harren pflegen. Auch Reiter

mit zweihändigen Schwertern auf Schimmeln mit rotgefärbten Mähnen,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Kotwal: vergleiche Kotwal (en)
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Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/160&oldid=- (Version vom 1.7.2018)