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Die indische Gauklerzunft scheint übereingekommen zu sein, wißbegierigen Fremden die Geheimnisse einer gewissen Gruppe ihrer Künste, zu deren Gelingen jedoch langdauernde Übung gehört, gegen bestimmte Mindesthonorare zu verraten. Eins der höchst bewerteten Kunststücke dieser Art besteht darin, drei Häuflein ganz verschieden gefärbter Pulver in einer Schale Wasser durcheinander zu quirlen und dieses dann nicht allein hinunterzuschlucken, sondern die Pulver nach einiger Zeit in gesonderten Farben wieder auf der Zunge zum Vorschein zu bringen und völlig trocken auf drei verschiedene Plätzchen zu pusten, das gelbe für sich, das rote für sich und ebenso das grüne. Dies unbegreifliche Wunder wird ganz einfach dadurch erreicht, daß der farbige Sand mit Wachs getränkt wurde, so daß er sich beim scheinbaren Verrühren im Wasser zusammenballen, an der Innenwand der Bronzeschale festkleben und als Klümpchen in den Mund befördern läßt. Auch das Tragen von Wasser in einem Siebe verliert seine Unerklärlichkeit, wenn man darauf achtet, daß das Staubtuch, mit dem der Gaukler das Haarsieb abwischt, mit Fettpaste bestrichen ist, die durch das Tuch in die feinen Poren des Siebes gedrückt wird und diese wasserdicht zustopft.

[WS 1]Wie alle Kasten in Indien hat auch die Klasse des fahrenden Volkes ihre Unterabteilungen. Der Sohn des Bärenführers verliert an seinem Kastenrang, wenn er in die Familie eines Bönder-Wallah[WS 2], eines Schaustellers tanzender Affen, heiratet und seine Sprößlinge werden nicht mehr als Bärenführer von „reinem Blute“ betrachtet; in europäische Damenkleidung und englische Uniformen gekleidete Affen, die schließlich miteinander vermählt werden, bilden nämlich die unversiegbarste Quelle des Ergötzens für die Indier. Eine Tänzerin vergibt sich nicht wenig von ihrer Würde, wenn sie eine Seiltänzerin zu einer Schüssel „Curry-Reis“ einladet, und wenn sie gar gleichzeitig mit einer solchen ihre Fingerchen in den dampfenden Reisberg stecken würde, um die Körnchen — aber stets nur mit dem Daumen und dem vierten, nie mit Hilfe des Zeigefingers — in das Mäulchen zu schleudern, wäre es um ihre Kastenreinheit völlig geschehen! Ja selbst das Schmauchen von ein paar Zügen aus der Wasserpfeife eines gewöhnlichen Taschenspielers würde dem Schlangenbeschwörer den Verlust seiner Kastenreinheit eintragen. Halb Schlangenzauberer, halb gewöhnlicher Gaukler, müßte er dann mit anderen Künstlern von gemischter Kaste seinen Reis essen, die natürlich ihren früheren Berufsgenossen nach Kräften Konkurrenz zu machen suchen und z. B. neben den Glanzleistungen fingerfertiger Taschenspieler auch Schlangentänze vorführen oder Kokosnüsse in die Luft werfen, die sie mit dem Schädel auffangen, so daß sie unter lautem Krachen zerplatzen und der Saft ihr Antlitz überströmt.

Auf dem umstehenden Bilde ist ein solcher Zauberer im Begriff, vor dem Hause, das der deutsche Klub in Madras bei meiner Anwesenheit bewohnte, der Dienerschaft etwas blauen Dunst vorzugaukeln. Der feiste Hausverwalter in europäischer Jacke, der tamulische Gärtner mit seiner Familie, der „Boy“,

d. h. der „Bursche für alles“ in seiner Ecke, sowie der bescheiden hinter der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der folgende Teil des Kapitels ist eine redigierte Fassung von Boecks Text „Indischer Gaukler“, erschienen 1898 in der Zeitschrift Gartenlaube.
  2. WS: Bönder-Wallah: vergleiche बंदर (bandar, Hindi für Affe) und Wallah (Indien)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/125&oldid=- (Version vom 20.7.2022)