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eine künstlerische Stimmung zu verwirklichen. Er soll ins Theater gehen, um eine künstlerische Stimmung, ein künstlerisches Temperament zu gewinnen. Er ist nicht der Richter des Kunstwerks. Er ist einer, der zur Betrachtung des Kunstwerks zugelassen ist und dem es, wenn das Werk schön ist, vergönnt ist, in seiner Betrachtung all den Ichwahn, der ihn quält, zu vergessen – den Ichwahn seiner Unwissenheit und den Ichwahn seiner Bildung. Diese Besonderheit des Dramas ist, glaube ich, noch kaum genug beachtet worden. Ich kann mir wohl vorstellen, dass, wenn „Macbeth“ zum erstenmal vor einem modernen Londoner Publikum, gespielt würde, viele Anwesende die Einführung der Hexen im ersten Akt mit ihrer grotesken Redeweise und ihren lächerlichen Worten streng und entschieden tadeln würden. Aber wenn das Stück vorbei ist, dann merkt man, dass das Gelächter der Hexen in „Macbeth“ so schrecklich ist wie das Gelächter des Wahnsinns in „Lear“ und schrecklicher als das Gelächter Jagos in der

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Oscar Wilde: Drei Essays. Karl Schnabel, Berlin 1904, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Drei_Essays_Oscar_Wilde.pdf/80&oldid=- (Version vom 31.7.2018)