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kann? Die Publikumsmenschen sind alle dekadent, denn das Publikum kann für nichts einen Ausdruck finden. Der Künstler ist nie dekadent. Er drückt alles aus. Er steht jenseits seines Gegenstandes und bringt durch ihn unvergleichliche und künstlerische Wirkungen hervor. Einen Künstler dekadent zu nennen, weil er die Dekadenz als Gegenstand behandelt, ist ebenso albern, als wenn einer Shakespeare verrückt nennen wollte, weil er den „König Lear“ geschrieben hat.

Im ganzen gewinnt der Künstler in England etwas, wenn er angegriffen wird. Seine Individualität wird intensiver. Er wird vollständiger er selbst. Natürlich sind die Angriffe sehr grob, sehr unverschämt und sehr verächtlich. Aber schliesslich erwartet kein Künstler vom vulgären Geist Grazie und ebensowenig Stil vom Vorstadtintellekt. Gemeinheit und Dummheit sind im Leben unserer Zeit zwei sehr lebendige Erscheinungen. Man bedauert sie natürlich. Aber sie sind einmal da. Sie sind ein Gegenstand der Beobachtung, wie andere Dinge auch.

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Oscar Wilde: Drei Essays. Karl Schnabel, Berlin 1904, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Drei_Essays_Oscar_Wilde.pdf/67&oldid=- (Version vom 31.7.2018)