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stellt ihm eine Art Individualismus vor, eine Behauptung von seiten des Künstlers, dass er seinen eigenen Stoff wählt und ihn behandelt, wie es ihn gut dünkt. Das Publikum hat mit seiner Haltung ganz recht. Die Kunst ist Individualismus, und der Individualismus ist eine zerstörende und zersetzende Kraft. Darin liegt seine ungeheure Bedeutung. Denn was er zu zerstören sucht, ist die Eintönigkeit des Typus, die Sklaverei der Gewohnheit, die Tyrannei der Sitte und die Erniedrigung des Menschen auf die Stufe einer Maschine. In der Kunst lässt sich das Publikum gefallen, was gewesen ist, weil sie es nicht ändern können, nicht weil sie Geschmack daran finden. Sie verschlucken ihre Klassiker mit Haut und Haar und sie schmecken ihnen nie. Sie ertragen sie als das Unvermeidliche, und da sie sie nicht vernichten können, schwatzen sie über sie und ziehen wichtige Gesichter dazu. Sonderbar genug, oder auch nicht sonderbar – je nachdem man einen Standpunkt einnimmt – diese Anerkennung der Klassiker tut grossen Schaden. Die unkritische

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Oscar Wilde: Drei Essays. Karl Schnabel, Berlin 1904, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Drei_Essays_Oscar_Wilde.pdf/60&oldid=- (Version vom 31.7.2018)