Seite:Drei Essays Oscar Wilde.pdf/44

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

christusgleich, als er hinausging und mit den Aussätzigen lebte, weil er in diesem Dienst völlig verwirklichte, was Bestes in ihm war. Aber er war nicht mehr christusgleich als Wagner, der seine Seele in der Musik verwirklichte, oder als Shelley, der die Verwirklichung seiner Seele im Liede fand. Es gibt nicht nur einen Typus des Menschen. Es gibt so viele Vollendungen, als es unvollkommene Menschen gibt. Den Anforderungen des Mitleids kann ein Mann nachgeben und doch frei sein; den Ansprüchen aber, die alle gleich machen wollen, kann niemand nachgeben und dabei frei bleiben.

Zum Individualismus also werden wir durch den Sozialismus kommen. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Staat das Regieren ganz und gar sein lassen muss. Er muss es sein lassen; denn, wie ein weiser Mann einst viele Jahrhunderte vor Christus gesagt hat, so etwas, wie die Menschheit in Ruhe lassen, gibt es; aber so etwas, wie die Menschheit regieren, gibt es nicht. Alle Arten, regieren zu wollen, sind verkehrt. Der Despotismus ist ungerecht

Empfohlene Zitierweise:
Oscar Wilde: Drei Essays. Karl Schnabel, Berlin 1904, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Drei_Essays_Oscar_Wilde.pdf/44&oldid=- (Version vom 31.7.2018)