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Er kann das Gesetz halten und doch nichtswürdig sein. Er kann das Gesetz brechen und doch edel sein. Er kann schlecht sein, ohne je etwas Schlechtes zu tun. Er kann eine Sünde gegen die Gesellschaft begehen, und doch durch diese Sünde seine wahre Vollkommenheit erreichen.

Es war da eine Frau, die beim Ehebruch ergriffen worden war. Man berichtet uns nichts über die Geschichte ihrer Liebe, aber diese Liebe muss sehr gross gewesen sein; denn Jesus sagte, ihre Sünden seien ihr vergeben, nicht weil sie bereute, sondern weil ihre Liebe so stark und wunderbar war. Später, kurze Zeit vor seinem Tode, als er beim Mahle sass, kam das Weib herein und goss kostbare Wohlgerüche auf sein Haar. Seine Jünger wollten sie davon abhalten und sagten, es sei eine Verschwendung, und das Geld, das dieses köstliche Wasser wert sei, hätte mögen für wohltätige Zwecke, für arme Leute oder dergleichen verwendet werden. Jesus trat dem nicht bei. Er betonte, die leiblichen Bedürfnisse des Menschen seien

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Oscar Wilde: Drei Essays. Karl Schnabel, Berlin 1904, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Drei_Essays_Oscar_Wilde.pdf/41&oldid=- (Version vom 31.7.2018)