Seite:Drei Essays Oscar Wilde.pdf/100

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

den Reiz dieser reizenden Erde zeigen konnten. Sie malten viele religiöse Bilder – tatsächlich malten sie viel zu viele, und die Eintönigkeit des Typus und des Motivs ist ermüdend und war von Uebel für die Kunst. Sie kam von der Autorität des Publikums in Sachen der Kunst und ist zu beklagen. Aber ihre Seele war nicht dabei. Raffael war ein grosser Künstler, als er sein Papstbildnis malte. Als er seine Madonnen und Christusknaben malte, war er durchaus kein grosser Künstler. Christus hatte der Renaissance nichts zu sagen, die wundervoll war, weil sie ein Ideal brachte, das ein anderes war als seines, und wenn wir die Darstellung des wirklichen Christus finden wollen, müssen wir uns an die Kunst des Mittelalters wenden. Da ist er ein Gemarterter und Verwundeter; einer, der nicht lieblich anzusehen ist, weil Schönheit eine Freude ist; einer, der kein schönes Gewand anhat, weil das auch eine Freude sein kann: er ist ein Bettler mit einer strahlenden Seele; er ist ein Aussätziger mit göttlicher Seele; er braucht nicht Eigentum noch Gesundheit; er ist

Empfohlene Zitierweise:
Oscar Wilde: Drei Essays. Karl Schnabel, Berlin 1904, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Drei_Essays_Oscar_Wilde.pdf/100&oldid=- (Version vom 31.7.2018)