Seite:Doppelhändigkeit.pdf/5

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Doppelhändigkeit. In: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang, 9. Bd., S. 167–170

Diese ist jedenfalls, da sie für die betreffende Person keinerlei wesentliche Nachteile hat, nicht als ein Gebrechen aufzufassen. Unter den Linkshändern gibt es sehr berühmte Künstler, wie Leonardo da Vinci und Adolf Menzel. Auffallend ist, daß nach den Feststellungen Lombrosos Verbrecher in höherem Grade linkshändig sind als unbestrafte Personen. Lombroso zieht daraus den Schluß, daß die Linkshändigkeit mit auf einen normalen Bau des Gehirns zurückzuführen ist, wie er nach seiner Theorie den meisten Verbrechern eigen ist. Auch unter Naturvölkern ist die Linkshändigkeit verbreiteter als bei den Kulturvölkern.

Hieraus ersieht man, daß die Linke sehr wohl befähigt ist, die rechte Hand zu vertreten, und das die Doppelhändigkeit, deren Wert recht bedeutend sein würde, sich in frühen Jahren leicht anerziehen läßt. Aber auch im späteren Alter kann man sie sich aneignen, wie dies der Dichter Wilhelm Jordan getan hat. Er erzählt in seiner Skizze „Doppelrechts“, daß ihn selbst einst schwere Krankheit zwang, sein Epos „Hildebrants Heimkehr“ mit der linken Hand zu schreiben; und siehe da, es ging nach einiger Mühe vortrefflich! Ja, Jordan behauptet sogar, durch die mittels der Linken herbeigeführte vermehrte Zufuhr des Blutes nach der rechten Gehirnhälfte sich noch in bereits vorgerückten Jahren gewissermaßen eine neue „Geistes-Kammer“ erschlossen zu haben. Fortan vermochte er nach seiner Wiederherstellung beide Hände gleichmäßig nicht nur zum Schreiben, sondern auch zu anderen Verrichtungen zu benutzen.

Von Pädagogen ist die Wichtigkeit der Ambidextrie schon seit Jahren erkannt worden. Hauptsächlich in Amerika hat man seit 1884 in vielen Schulen zweihändiges Zeichnen, Modellieren und Holzschnitzen als Unterrichtszweig eingeführt. Neuerdings wendet man dieser Frage nun auch in Deutschland mehr Interesse zu. In den Volksschulen in Königsberg i. Pr. ließ man die Kinder zunächst versuchsweise mit der Linken Handarbeiten, Schnitzereien usw. anfertigen und vereinigte diese Arbeiten dann zu einer kleinen Ausstellung. Die Resultate waren überraschend gute. Hiernach dürfte bald allgemein eine Bewegung

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Doppelhändigkeit. In: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang, 9. Bd., S. 167–170. Verlag der Bibliothek für Alle, Dresden 1912, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Doppelh%C3%A4ndigkeit.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)