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Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder

Der Reiz der Freiheit, die reiche Beute, die wachsende Macht, und endlich der eigene Herd, ließen die armen Flüchtlinge das neue Leben liebgewinnen und reizten Andere sich ihnen anzuschließen. Und in der That mußte der Stand des Kosacken einen mächtigen Zauber auf Alle die ihm angehörten, ausüben.

Sie, die früher als willenlose Sklaven unter der Peitsche oder dem Schwerte der Tartaren zitterten, verachtet und verächtlich, schwangen jetzt selbst das Schwert gegen ihre früheren Unterdrücker, und flogen einher auf muthigen Rossen, frei wie der Wind der Steppe, gefeiert in den Liedern ihres Volkes.

Das schönste Mädchen, das er im Kampfe gefangen, ward des Kosacken Weib; aus dem reichsten Stoffe, den er dem Feinde genommen, bereitete er seine Kleider; er schmückte sich mit den erbeuteten Waffen seines Gegners.

Seine Kinder wuchsen auf bei Schwerterklang und Kampfgewühl; Hörnerschall und Schlachtlieder waren ihre Wiegengesänge; mit der Muttermilch sogen sie den Haß gegen ihre Unterdrücker ein.

Verwundet in der Schlacht, küßte der Kosack, bevor er starb, noch einmal die Handvoll heimischer Erde, welche er immer auf seiner Brust trug, schickte dem treuen Weibe daheim sein letztes Lebewohl, und gab seinen Kindern und tapfern Waffengefährten seinen Segen.

Wenn er glücklich von den Streifzügen zurückam, so theilte er seine Beute, gab Gastmähler und Schmausereien, und lebte sorglos und in Freuden.

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Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder. J. G. Cotta, Stuttgart u. Tübingen 1845, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_poetische_Ukraine_(1845).pdf/29&oldid=- (Version vom 19.12.2022)