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Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder

Beute darbot, machten sie Einfälle in Rußland, oder verbanden sich mit den Russen, um ihnen gegen andere räuberische Nachbarvölker beizustehen; sie plünderten die Reisenden und Karavanen und lebten selbst in beständigem Hader unter einander.

Um das Verhältniß dieser Räubervölker, den russischen Fürstenthümern gegenüber, – den einzigen angebauten Ländern, welche die Ursteppen begränzten, – richtig darzustellen, ist es nöthig, zuvor einen Blick auf den innern Zustand dieser Länder zu werfen.

Sie bestanden aus Groden, das heißt, aus großen, durch Wälle und Mauern befestigten Burgen, welche den Fürsten oder ihren Statthaltern zum Aufenthalte dienten. Zwischen diesen Burgen zogen sich aus zerstreut gelegenen Hütten bestehende Dörfer, Chutoren oder Meiereien, hin, wo das Volk den Winter zubrachte, und von wo es sich, bei Ueberfällen feindlicher Horden, in die Groden flüchtete. Oft auch führten die Fürsten, nach Art der deutschen Raubritter des Mittelalters, selbst Kriege untereinander, und die Sieger hausten schrecklich im Gebiete der Besiegten.

Der Landmann fand bei seiner Rückkehr, statt der verlassenen Hütte, nur Schutt und Trümmer; der Ackerbau und die Gewerbe stockten; das gesellschaftliche Leben konnte sich nicht entwickeln, und das Bedürfniß größerer befestigter Plätze wurde immer fühlbarer. Nur in den Groden,[1] welche sich nach Maßgabe der Bevölkerung


  1. Hiervon kommt das russische Wort Gorod – Stadt.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder. J. G. Cotta, Stuttgart u. Tübingen 1845, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_poetische_Ukraine_(1845).pdf/24&oldid=- (Version vom 19.12.2022)