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Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder

Es lebt eine alte Wittwe zu Tscherkaß der Stadt,
Und einen Sohn, genannt Iwan Konowtschenko hat;
Wie die Alte den Aufruf zum Kriege hört,
Ist sie schnell nach Hause zurückgekehrt,
Läßt die Pferde nach entlegenen Plätzen zieh’n,
Legt die Rüstung des Sohnes in den Keller hin,
Und eilt hastigen Schrittes zur Kirche darauf …
Zu derselbigen Stunde wacht Iwan auf –

 Und sieh, an der Wand
 Er sein Schwert nicht mehr fand,
Sein Gewehr nicht mit blankem Lauf. –
 Er läuft schnell zum Stall hinab:
 Wehe! fort ist sein schwarzer Rapp!
 Ueberall sucht er seine Mutter dann,
 Und trifft sie noch bei der Kirche an.

 „Meine Mutter, das hast du schlecht gemacht!
 Hast mich nicht aufgeweckt,
 Hast meine Waffen versteckt,
 Hast meine Pferde davongejagt!
Hättest besser gethan nach Krylow[1] der Stadt zu laufen,
Mir von den Juden ein Pferd zu kaufen,
Mit neuem Geschirr es zu schmücken
Und mich jungen Kosack in’s Feld zu schicken!“


  1. Krylow – Stadt im Gouvernement Kiew, im tschehrinschen Distrikte. Sie wurde erbaut unter der Regierung Sigismund III., König von Polen, bei der Mündung der Tasmin in den Dniepr. Am rechten Ufer der Tasmin befindet sich noch eine andere Stadt dieses Namens, welche zum Gouvernement Cherson gehört. Die erstere Stadt wird heutiges Tages das polnische Krylow und die zweite das russische Krylow genannt. Man kann hieraus folgern daß die Tasmin früher die Grenze zwischen Rußland und Polen bildete.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich von Bodenstedt: Die poetische Ukraine. Eine Sammlung kleinrussischer Volkslieder. J. G. Cotta, Stuttgart u. Tübingen 1845, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_poetische_Ukraine_(1845).pdf/127&oldid=- (Version vom 11.1.2023)