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 Gräfin von R – – – ist Mutter, – ist es mehr, als gewöhnlich adeliche Mütter sind; – ist es ganz. – Der Himmel segnete ihren Ehestand schon im ersten Jahre mit einem männlichen Erben. – Sie fühlte den erhabnen Muttertitel, sie fühlte was ihr die Natur gebot, sie gehorchte gerne und freudig. – Sie wollte ihr Kind selbst nähren, ihm selbst die Brust reichen; aber gegründete Wiederrathung des Arztes verbot es ihr; – sie mußte gegen ihren Willen nachgeben. – Aber auch keine Säugamme nahm sie, um ihrem theuren Kinde keine verdorbene und schädliche Milch einzuflößen. – Sie ging das wichtige Werk der ersten Erziehung mit Überlegung an, unterstützt und geleitet von vernünftigem und geprobtem Rathe. – Schon während ihrer Schwangerschaft suchte sie sich zum voraus durch die Lectüre der besten Erziehungsschriften zur guten Mutter zu bilden, – und als wirkliche Mutter that sie, was wenige, was vielleicht keine thut: – sie entsagte ihren Lieblingsbeschäfftigungen, dem Zeichnen, der Musik, und den Sprachen; sie las nur Erziehungsschriften, sie lebte nur für ihr Kind. Manche Dame entfernt ihr Kind gleich nach der Geburt, um nicht von seinem hülflosen Weinen gestört zu werden, – sie nimmt es nicht auf den Arm, damit es nicht etwa nach einer herabhangenden Locke, nach einer bunten Feder hascht, und etwas am Kopfputze verdirbt, sie übergibt es der Kindsmagd, und

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Anonym: Die musterhafte Dame, kein Ideal in: Journal von und für Franken, Band 5. Raw, Nürnberg 1792, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_musterhafte_Dame,_kein_Ideal.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)