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geizt, das eines dem andern beneidet, und ihm selten aufrichtig eingesteht; – sie war schön gebaut, wie eine Grazie. – Ihr Vater war Minister an einem gewissen Hofe, sie lebte also so ziemlich von Jugend auf in der großen Welt. – – Tausend andere würden auf einem solchen Platze mit ihrer Schönheit gewuchert haben. Sie hätte ein Heer von Anbetern und süßen Schmeichlern um sich her gezaubert, – aber dieß that unsre verehrungswürdige Dame nicht; ihr Herz kannte keine feine und betrügerische Künsteley; ihr Spiegel sagte ihr, daß sie schön, daß sie eine Grazie sey, aber die Vernunft sagte ihr auch, daß es ungereimt sey, seine Schönheit, seine Reize so boshaft anzuwenden, hundert zu besiegen, und nur einen glücklich zu machen. – Die Art, mit der sie jeden behandelte, war offen, ihr Umgang mit jungen Herren war nur nothwendig, nie gesucht; sie sprach mit jedem, wenn es Umstände und Gelegenheit erforderten, sprach mit ihm, wie es der Faden des Gesprächs gab, aber mit einem nur sprach sie als innigste Freundin, einem nur öffnete sie ihr Herz, – und dieser eine, dieser glückliche, dieser beneidenswehrte war Graf von R. – – – Er war nicht mehr das faselnde junge Herrchen, er girrte, er kniete nicht, aber er war Mann, hatte Vestigkeit des Charakters, Biedersinn und Edelmuth. – Sie gab ihm ihr Herz, und endlich mit erbettener Einwilligung

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Anonym: Die musterhafte Dame, kein Ideal in: Journal von und für Franken, Band 5. Raw, Nürnberg 1792, Seite 099. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_musterhafte_Dame,_kein_Ideal.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)