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catholische Kirche ist nicht bloß ein System des Glaubens; sie hatte ihrer ganzen Stellung nach auch eine äußere Seite, womit sie tief in das Leben der Einzelnen und der Staaten eingriff: sie zählte einen wohlorganisirten Weltklerus mit dem Papst an der Spitze, umfaßte zahlreiche Vereine von Ordensgeistlichen mit den allerstreitigsten Interessen, besaß umfangreiche geistliche Herrschaften, hielt in ihrer Hand Bann und Interdict, die Gewalt des Beichtstuhls und der Sacramente, kurz der Mittel unzählige, wodurch sie das Leben der abendländischen Christenheit bewegen und leiten konnte. Hier nun läßt sich behaupten, daß durch Mißbräuche und Uebelstände in der äußern Erscheinung der Kirche des Kaisers Seele hinreichend verletzt, und sein Entschluß zur Abstellung derselben fest genug war, um jenem ungünstigen Eindrucke der Reformation völlig die Wage zu halten.

Zunächst eine solche Unterscheidung zwischen dem catholischen Glauben, so viel man dessen bedurfte, um als rechtgläubiger Christ nach damaliger Ansicht des Himmels gewiß zu seyn, und zwischen der Kirche als bedeutender Macht in den europäischen Welthändeln, eine Unterscheidung zwischen dem Papst als Nachfolger Petri im Besitz der Himmelsschlüssel, und zwischen ihm als angesehener Macht, so wichtig für den Besitz Italiens, diese Unterscheidung zwischen Glauben an die Lehrsätze der Kirche und zwischen Gehorsam gegen ihre anderweitigen Forderungen, war nichts Besonderes bei Kaiser Karl, sondern seinem ganzen Zeitalter eigen. Einen solchen Zwiespalt in den Gemüthern hatte die Politic des römischen Stuhls längst selbst hervorgerufen, indem sie Lehren und Dogma nur zum Deckmantel ihrer weltlichen Entwürfe nahm. Der Kunstgriff war längst entdeckt, und selbst viel entschiedenere Anhänger des catholischen Glaubens, als Kaiser Karl, gestatteten sich ohne Zagen jene Unterscheidung. Wer war doch wohl catholischer, als Herzog Alba, der die Gefilde Brabants und Flanderns entvölkerte zur Ehre der catholischen Kirche? allein brachte es die Politic seines Herrn mit sich, so stand er gar nicht an, denselben