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Walther Kabel: Die giftigste aller Spinnen. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 13, S. 237–238

Die giftigste aller Spinnen ist, wie erst jetzt durch den chilenischen Naturforscher Borne[ws 1] festgestellt wurde, die Latrodectes terribilis, ein Tierchen von ungefähr fünfzehn Millimeter Länge, das äußerlich vollkommen den ungefährlichen und harmlosen Erdspinnen gleicht. Die Kiefernfühler der bisher nur in Chile gefundenen Latrodektes enden wie bei der Kreuzspinne in einer wie die Klinge eines Taschenmessers einschlagbaren Klaue, an deren Spitze der Ausführungsgang einer Giftdrüse mündet, aus der ein farbloser Saft in die durch die Klaue geschlagene Wunde fließt.

Borne berichtet über die Gefährlichkeit dieser Spinnenart folgendes: „Bei einem wochenlangen Streifzug durch die Urwälder Nordchiles lagerten wir einmal in einer großen Waldlichtung. Am Morgen entdeckten wir, daß von unseren Pferden, die wir in einiger Entfernung auf einem Grasstreifen angepflockt hatten, zwei verendet am Boden lagen. Vergebens forschten wir zunächst nach der Todesursache. Erst als unser indianischer Führer von seinem Jagdausfluge heimkehrte und die Kadaver besichtigt hatte, sollten wir eine Aufklärung erhalten. Der Indianer zeigte uns in den Nüstern der Pferde je eine kleine Spinne einer mir bis dahin unbekannten Art mit gelbgrauem Leib und sechs stark behaarten Beinpaaren und behauptete, diese Spinnen hätten die Pferde durch ihren Biß getötet. Mir erschien dies jedoch so wenig glaublich, daß ich die beiden Spinnen, die sich in dem weichen Fleisch der Nüstern festgebissen hatten, vorsichtig durch Anblasen mit Rauch loslöste und dann einem am Tage zuvor gefangenen Hirschkälbchen auf die Weichteile des Bauches setzte. Sofort schlugen die Spinnen ihre Beißzangen in die Haut ein, und bereits nach einer Stunde war das Hirschkälbchen unter heftigen Krämpfen verendet. – Nachdem ich erst einmal auf die Gefährlichkeit der Latrodektes aufmerksam gemacht worden war, gelang es mir dann hauptsächlich in einsam gelegenen Indianerdörfern weiteres Material über die Wirkungen ihrer giftigen Drüsenausscheidung zu sammeln. Danach greift die so überaus gefährliche Giftspinne, die sich hauptsächlich von Blut zu ernähren scheint, ihre Opfer stets an Stellen an,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Frederico Puga Borne (1855–1935)
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die giftigste aller Spinnen. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 13, S. 237–238. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_giftigste_aller_Spinnen.pdf/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)