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singt“ hat ein Alter gesagt, „der jungt immer wieder, an ihm geht das Alte vorbei.“ Die herbe, ernste Musik eines Prätorius, eines Heinr. Schütz, eines Johann Sebastian Bach und Johannes Brahms, diese urevangelische Tonkunst ist die dankbare Tochter des Sängers von Wittenberg, der die Hausmusik zu einem Heiligtum machte und ins Heiligtum das ganze Volk singend und jauchzend, klagend und trauernd, einlud. Ich darf ein Erlebnis einfügen, das mich mit der vollen Freude des Besitzers beglückte. Als ich vor Jahren durch die Prunksäle des Musée de Luxembourg in Paris schritt wurde ich von einem Bilde gefesselt. Im Halbdunkel sitzt ein Mädchen am Klavier, ein anderes begleitet es im Spiel. Blick und Stellung atmen Andacht und darunter steht: „Lied“. Nicht chanson, nicht cantique. Die ganze Innigkeit und Innerlichkeit konnte der Künstler nur durch das deutsche „Lied“ ausdrücken.

 Wo das Wort zum Ton und wie die Reben um den Weinstock, so die Tongebilde zum Kreuz hinanrankend, erfunden werden, da ist die Volkskunst nicht weit. Vielleicht nicht die farbenfrohe, italienische Renaissance und die lüsterne prächtige französische Leichtigkeit, aber der ernste schwermütige und doch so trauliche, und sinnige Holzschnitt, die harten schweren Zeichnungen eines Albrecht Dürer, die scheinbar unschönen Zeichnungen eines Cranach bergen dem sinnigen Auge neue Welten, stille Herrlichkeiten, unergründbare Reichtümer. Wenn jetzt das deutsche Kind in Schnorrs Bilderbibel allen Heiligen in die Augen schaut und die Mutter ihm Richters Jahreszeiten mit ihrem feinen, stillen Duft erläutert, wenn der Mann an dem Ernst Rethel’scher Bilder sich erbaut, dann sollen sie Luthers denken, der da in der Kraft Christi, des Meisters, welcher die Geister heiligt, alle Künste singen, reden, schildern hieß.

 Ein treuer Mann hat er, was der Deutschen Ehrenpreis war, sich keusch und rein erhalten und dem Weibe den ihm gebührenden Ehrenplatz im Vaterhaus wieder bereitet. Es liegt mir nicht an, gegen alte und neue sogenannte Lutherforschungen hier zu polemisieren. Man mag Luther in seinen Ausdrücken derb, man mag ihn nach den verfeinerten Begriffen der Moderne roh nennen, aber der Unzucht war er

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Hermann von Bezzel: Die deutsche Art in Luther. ohne Verlag, 1910, Seite 09. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_deutsche_Art_in_Luther_09.png&oldid=- (Version vom 19.7.2016)