Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

vollen Maßes zu begreifen und zu würdigen. Wohl sollte daher der öffentliche Unterricht des Volks in der Musik aus mehr als einem Grunde die Aufmerksamkeit der Regierung ebenso in Anspruch nehmen, wie es bereits ein Gegenstand der Forschungen für die Gesundheitslehre und die Moralphilosophie geworden ist.

Kann man in der That die Macht der Musik noch bezweifeln, wenn man heutzutage die Wunder gewahrt, welche sie bei den jüngern Wahnsinnigen im Irrenhause des Bicêtre gethan hat? Durch sie sind die Ketten, welche diese bisher gefesselt hielten; gefallen, die Zwangskerker, in welche sie eingesperrt waren, haben sich geöffnet; aus Wüthenden, aller und jeder Zucht und Ordnung Trotzbietenden, wie sie früher waren, sind sie sanft und fügsam geworden, und wenn nicht Traurigkeit und der wirre Blick in ihrer Physiognomie nach wie vor sie verriethen, sollte man nicht glauben, noch in der Nähe von unglücklichen Irren zu sein. Wir haben Choräle von diesen Beklagenswerthen ausführen hören mit einer solchen Präcision und so vollkommenem Zusammenklange, als wären sie von ausgezeichneten Künstlern gesungen worden.

Endlich ist es ja auch bekannt, daß bei den wilden Volksstämmen an den Ufern des Meschacébé ein Priester sich Bahn gebrochen hat in ihren Wäldern, mit einem Brevier, einem Crucifix und einer – Geige in den Händen. Wenn er gebetet hatte, nahm er seine Geige zur Hand, ließ anfangs die Saiten, einem Echo der göttlichen Vernunft ähnlich, erzittern, spielte dann seine Melodien, und die Wilden kamen aus ihren Höhlen hervor, sahen und hörten ihm zu und – wurden bekehrt.

Und wenn nun die Musik solche Wirkungen auf den Irren und den Wilden zu äußern vermag, was läßt sich von ihr erst bei den arbeitenden Classen erwarten, deren Geisteskraft einer gesunden Nahrung bedarf und die sich von den süßen Regungen der Seele so gerne hinreißen lassen!

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Édouard Burdel; Übersetzer: Johann Heinrich Gauß: Die Trunksucht. Bernhard Friedrich Voigt, Weimar 1855, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Trunksucht.pdf/91&oldid=- (Version vom 31.7.2018)