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Maus seitwärts davon, um sie in Ruhe zu verzehren. Da aber schoß ihr bereits eine andere nach, und Richard meinte zuerst nicht anders, als daß es ein ihm unbekanntes Raubtier gewesen sei, so groß war diese Ratte, so abnorm hatte sie sich entwickelt. Jetzt fiel sie wieder eine kleinere Ratte an, und ein Kampf entspann sich, in dem natürlich der Stärkere siegte. Das Ungetüm von einer Ratte fraß erst schnell die Maus, dann machte sie sich an den eigenen Kollegen.

Lächelnd über seine Furcht war Richard von dem Steine herabgesprungen und schlich sich mit gespanntem Bogen auf das reißende Ungetier zu. Aber er hatte gar nicht nötig, so zu schleichen, die Ratte floh nicht, sie hob den Kopf, zischte und fletschte die langen Zähne nach ihm. Ja, vielleicht war es gut, daß sein Pfeil sie durchbohrte, sonst hätte er sich noch mit dem Messer wehren müssen.

Richard ging in ein Haus. Daß hier die Mäuse schon gewesen waren, konnte er aus ihren hinterlassenen Spuren sehen, sonst aber gähnten ihm nur die nackten Wände des einst möblierten Hauses entgegen, und auf dem Estrich des abgedielten Bodens lagen Eisenteile, Glas, Porzellan und eine Lampe. Alles andere hatten die Mäuse aufgefressen, das Bett so gut wie das Klavier bis auf die eisernen Schrauben.

So würden nunmehr die Mäuse, nachdem sie keine wirkliche Nahrung mehr hatten, mit fürchterlichem Hunger weiter hausen und sich dabei in die Billionen vermehren. Gab es dann gar nichts mehr zu nagen, so mußten sie sich entweder zu grüner Pflanzennahrung wenden oder den gefräßigen Zahn gegen das eigene Geschlecht kehren. Allerdings würden[WS 1] die Ratten endlich doch die Vermehrung der Mäuse beschränken, und dann auch über sich selber herfallen. Denn die Ratte frißt die Ratte, und da das Starke siegt, das Schwache aber verschwindet, so würde jedes neue Geschlecht von Ratten immer größer werden, bis die Natur eine Grenze setzt und ihnen ein anderes Raubtier zur Vernichtung schickte.

So dachte Richard, als er das Haus wieder verließ.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: würde
Empfohlene Zitierweise:
Robert Kraft: Die Totenstadt. H. G. Münchmeyer, Dresden (1901), Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Totenstadt.pdf/22&oldid=- (Version vom 31.7.2018)