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Jeanne-Marie Leprince de Beaumont, Johann Joachim Schwabe: Die Schöne, und das Thier

ist so dumm, daß sie mit ihrem unglücklichen Zustande zufrieden ist.“

Der wackere Kaufmann dachte nicht so, wie seine Töchter. Er wußte, daß die Schöne viel geschickter wäre, als ihre Schwestern, sich in Gesellschaften zu zeigen. Er bewunderte die Tugend dieser jungen Tochter und vornehmlich ihre Geduld. Denn ihre Schwestern ließen sie nicht bloß alle Hausarbeit ganz allein verrichten, sondern schalten sie auch noch alle Augenblicke.

Diese Familie hatte nun ein Jahr in der Einsamkeit gelebet, als der Kaufmann Briefe erhielt, worinnen man ihm meldete, es wäre ein Schiff, worauf er Waaren gehabt, glücklich angekommen. Diese Zeitung hätte seinen beyden ältesten Töchtern den Kopf fast verwirrt gemacht, welche gedachten, sie würden endlich das Land verlassen können, wo ihnen Zeit und Weile so lang würden. Als sie ihren Vater zur Abreise fertig sahen, so bathen sie ihn, er möchte ihnen Röcke, Palatinen, Kopfzeuge und allerhand Kleinigkeiten mitbringen. Die Schöne ersuchete ihn um nichts. Denn sie dachte bey sich selbst, alles Geld für die Waaren würde nicht zureichen, das zu kaufen, was ihre Schwestern wünscheten.

„Du bittest mich nicht, daß ich dir etwas kaufen soll: sagete ihr Vater zu ihr. – Weil Sie die Gütigkeit haben, und an mich denken wollen, antwortete sie ihm, so bitte ich Sie, bringen Sie mir eine Rose mit; denn hier wachsen keine.“ Die Schöne fragete eben nicht viel nach einer Rose: sie wollte aber nicht durch ihr Beyspiel die Aufführung ihrer Schwestern verdammen, welche gesaget haben würden, es geschähe nur bloß, sich von ihnen zu unterscheiden, daß sie nichts verlangete.

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Jeanne-Marie Leprince de Beaumont, Johann Joachim Schwabe: Die Schöne, und das Thier. Weidmann, Leipzig 1767, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sch%C3%B6ne,_und_das_Thier._Ein_M%C3%A4rchen.pdf/5&oldid=- (Version vom 2.4.2020)