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Jeanne-Marie Leprince de Beaumont, Johann Joachim Schwabe: Die Schöne, und das Thier

als acht Tage, hier zu behalten. Ihr dummes Thier wird darüber in Zorn gerathen, daß sie ihr Wort nicht gehalten, und wird sie vielleicht auffressen.“

„Du hast Recht, Schwester, antwortete die andere. Dieserwegen aber müssen wir ihr große Liebkosungen erweisen.“ Nachdem sie diesen Entschluß gefasset hatten, so giengen sie wieder hinein, und erwiesen ihrer Schwester so viel Freundschaft, daß die Schöne vor Freuden darüber weinete. Als die acht Tage vorbey waren, so rissen sich die beyden Schwestern die Haare aus dem Kopfe, und stelleten sich über die Abreise so betrübt, daß sie versprach, sie wollte noch acht Tage da bleiben.

Indessen verwies sich die Schöne den Kummer, welchen sie ihrem armen Thiere verursachen würde, das sie von ganzem Herzen liebete; und es wurden ihr Zeit und Weile lang, daß sie solches nicht mehr sah. In der zehnten Nacht, die sie bey ihrem Vater zubrachte, träumete ihr, sie wäre in dem Garten des Pallastes und sähe das Thier auf dem Grase liegen, welches den Augenblick sterben wollte, und ihr ihre Undankbarkeit verwies.

Die Schöne wachete plötzlich darüber auf und vergoß Thränen. „Bin ich nicht recht boshaft, sagete sie, daß ich einem Thiere Kummer verursache, das so viele Gefälligkeit für mich hat? Ist es seine Schuld, daß es so häßlich ist und so wenig Witz hat? Es ist gut; das ist besser, als alles übrige. Warum habe ich das Ungeheuer nicht heurathen wollen? Ich würde mit ihm glücklicher seyn, als meine Schwestern mit ihren Männern. Weder die Schönheit, noch der Witz eines Mannes machen eine Frau vergnügt; nur die Güte seiner Gemüthsart, die Tugend, die

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Jeanne-Marie Leprince de Beaumont, Johann Joachim Schwabe: Die Schöne, und das Thier. Weidmann, Leipzig 1767, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sch%C3%B6ne,_und_das_Thier._Ein_M%C3%A4rchen.pdf/20&oldid=- (Version vom 4.8.2020)